Kapitel 1
Der Karneval
leja fluchte auf Kroatisch. Sie hatte sich Mund und Nase geschwärzt und Schnurrhaare aufgemalt, und jetzt juckte ihr Gesicht. Außerdem trug sie eine rot-goldene Augenmaske. Aleja war heute Abend ein Fuchs.
„Wie sollen wir in diesem Gedränge jemanden finden?“ Frances zupfte an der pechschwarz glänzenden Rabenmaske herum, die sie vor ihre Brille gezogen hatte. Ihr Kostüm war mit schwarzen Federn besetzt, und wenn sie die Arme bewegte, flatterten die Flügel.
Vor den beiden Freundinnen lag das alte, von einer Stadtmauer umschlossene Ragusa. In den Straßen drängten sich prachtvoll kostümierte Menschen, fröhliche Musik erfüllte die Luft. Der Karneval war in vollem Gange.
Eine ideale Gelegenheit für Langfinger.
Aleja und Frances waren zwar auch verkleidet, aber sie waren nicht zum Vergnügen hier. Sie waren keine gewöhnlichen Mädchen – sie warenPiratinnen und ein eingespieltes Team. Frances konnte mit ihren geschickten Fingern einer Frau die Kette vom Hals klauen, ohne dass die Bestohlene es merkte, und Aleja flogen dank ihrer Sprachkenntnisse die Geheimnisse anderer Leute nur so zu.
Heute sollten sie den Schlüssel zu einem Safe stehlen. Der Safe stand in der Villa eines Kartografen, die auf einer Anhöhe mit Aussicht auf das kristallklare Meer erbaut war. Dummerweise trug der Kartograf den Schlüssel stets bei sich.
„Komm“, sagte Aleja, und die beiden Mädchen stürzten sich ins Getümmel.
Aleja spähte durch die Augenschlitze ihrer Maske. Vorhin auf dem Schiff hatte sich das Ganze noch so einfach angehört: Wenn sie den Kartografen aufgespürt und ihm den Schlüssel stibitzt hatten, sollten sie mit Grietes Werkzeugen eine Kopie davon anfertigen und ihn dem Mann dann wieder in die Tasche steckten. Jetzt kam ihr diese Aufgabe unlösbar vor. Es waren viel zu viele Leute unterwegs! Sie stellte sich auf die Zehenspitzen.„Da!“ Sie packte Frances’ gefiederten Arm und zeigte auf einen kahlköpfigen Mann mit einer türkisen Pfauenmaske im venezianischen Stil.
„Pass doch auf – mein Flügel!“
„’tschuldigung.“
Sie schlüpften durch ein Tor auf den Stradun, eine breite Promenade, die mitten durch die Innenstadt führte. Auch hier wimmelte es von Menschen: Musikern, Geschichtenerzählern und Kaufleuten. Eine Parade aus Trommlern und Tänzern kam ihnen entgegen, und Aleja und Frances schlängelten sich zwischen ihnen hindurch. Gleich hätten sie den Kartografen eingeholt.
Da drehte sich der Mann plötzlich um, und Aleja zog Frances rasch hinter einen alten Brunnen.
„Was ist denn?“, fragte Frances gedämpft.
Aleja spähte um den Brunnen herum. Die Pfauenmaske schimmerte im Licht einer Straßenlaterne. „Er hätte uns beinahe gesehen.“
Ein Trommelwirbel ertönte, die Zuschauer applaudierten. Aleja und Frances hefteten sich wieder an die Fersen des Kartografen. Sie wichen einem Karren aus, an dem geröstete Mandeln verkauft wurden, und hielten auf den Sponza-Palast mit seinem sandfarbenen Bogengang zu, der im letzten Sonnenlicht buttergelb le