Kapitel 1
QUINN
Kein Wind, keine Menschen, nicht die geringste Bewegung. Und trotzdem war da plötzlich dieses Schaben hinter mir, so als würde sich etwas sehr, sehr langsam bewegen.
Etwas oder … jemand.
Ich fuhr herum und spähte in die schmale Gasse, sofern das bei diesem Dämmerlicht möglich war. Nichts zu sehen, dennoch prickelte meine Haut im Nacken und auf den Unterarmen. Kein gutes Zeichen. Innerhalb weniger Sekunden hatte sich die Atmosphäre verändert. Zuvor hatte mir der Spaziergang durch diesen wie ausgestorben wirkenden Straßenzug von Nanaimo ein Stück der Ruhe geschenkt, nach der ich so verzweifelt gesucht hatte, bevor mein erstes Semester an der Vancouver Island University startete. Jetzt wirkte alles nur noch bedrohlich.
Ich lief weiter und versuchte, mich zu orientieren. Gar nicht mal so leicht, denn ich war erst zum zweiten Mal hier unterwegs. Aber wenn ich dort vorn abbog und dann noch einmal, ohne dabei eine Sackgasse zu erwischen, müsste ich auf eine der größeren Straßen stoßen, wo noch immer Verkehr herrschte und Menschen unterwegs waren.
Links von mir bewegte sich etwas in den Schatten. Ich wandte rasch den Kopf, war aber zu langsam, um zu erkennen, was es war. Auf jeden Fall war das Ding zu groß gewesen, um eine streunende Katze zu sein. Vielleicht ein Hund? Nein, es war …anders. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber irgendetwas sagte mir, dass ich vorsichtig sein musste. Mit angehaltenem Atem bog ich nach rechts ab. Eine Sackgasse. Verdammter Mist.
Ich presste mich an die Mauer, zitterte, während die Kälte auf mich überging, und lauschte, sofern mein rasender Herzschlag es zuließ. Meine Sinne redeten mir ein, dass ich mich nur verrückt machte, weil da einfachnichts war. Meine Instinkte sagten jedoch das genaue Gegenteil.
Hör auf zu grübeln und verschwinde.
Ich holte tief Luft und rannte – vorbei an der Stelle, an der ich zuvor die Bewegung bemerkt hatte. Mein Magen ballte sich so sehr zusammen, dass mir übel wurde. Immer wieder warf ich einen Blick über die Schulter. Um nichts in der Welt wollte ich der Gegend hinter mir völlig den Rücken zuwenden.
Dieses Mal war der Schatten deutlich zu sehen. Er huschte vor mir von einer Wand zur anderen und verschwand hinter ein paar Mülltonnen. Größer als ein Hund, ungefähr halb so groß wie ich. Aber kein Mensch. Ein Schwarzbär konnte es auch nicht sein – wobei ich nicht glaubte, dass die sich ins Stadtzentrum verirrten. Aber das war mir nun egal. Ich blieb so abrupt stehen, dass ich ein Stück über den Boden schlitterte, warf mich herum und rannte zurück.
Hinter mir schepperte es, erst weiter entfernt, dann ein ganzes Stück näher. Was auch immer hier mit mir in der Gasse war, jagte mich. Ein Fiepen zog durch meine Ohren. Ich legte all meine Kraft in meine Beine. Das Kribbeln wurde zu einem Brennen, und ich konnte den Gedanken nicht mehr beiseiteschieben, jeden Moment von hinten angesprungen und zu Boden gerissen zu werden.
Ich keuchte, biss die Zähne zusammen und holte auch den letzten Rest aus meinem Körper heraus. Mit einer Schulter schrammte ich an der Mauer entlang – ich hatte die Enge der Gasse unterschätzt und war im mangelnden Licht zu weit nach rechts geraten. Es brannte, aber das spielte im Moment keine Rolle. Hier und jetzt war ich nicht mehr Quinn Shields, sondern nur ein namenloses Opfer, von jemandem oder etwas gehetzt. Ein schrecklicher Gedanke. Als hätte mein Verfolger ihn gelesen, erklang hinter mir ein Grollen. Tief und vor allem drohend, eindeutig von einem Tier. Und viel zu nah! Ich nutzte den letzten verbliebenen Atem und schrie um Hilfe. Doch es war, als hätten sich die Mauern gegen mich verschworen und hielten jedes Geräusch ab.
Zu meiner Rechten tauchte eine Abzweigung auf. Ohne groß zu überlegen, bog ich ab. Eine weitere Gasse, ebenfalls schlecht beleuchtet, aber der Mond schimmerte irgendwo über mir und sorgte zumindest im hinteren Teil für etwas mehr Licht. An einer Seite reihten sich riesige Müllcontainer. Es roch übel, n