PROLOG
Sommer 1810, Bath
Als Selina Searles, gerade sechzehn Jahre alt und voller Unschuld, sich im Saal des Kurhauses umschaute, breitete sich ein wohliges Prickeln in ihrem Körper aus.
Der Ball hatte erst vor Kurzem begonnen, und im Saal drängten sich bereits die Gäste. Selina war aufgeregt und gleichzeitig überglücklich, denn dies war ihr erster Ball. Sie war noch zu jung, um schon in dieser Saison in London zu debütieren, doch hier in Bath gönnte ihre Mutter ihr die Freude. Welch ein Glück, dass sie sich gerade in diesen Wochen in dem Kurort aufhielten, wo Mama ihre schwere Erkältung auskurieren wollte.
Natürlich war Selina noch einmal eindringlich auf die Gepflogenheiten der guten Gesellschaft hingewiesen worden, und sie hatte sich fest vorgenommen, alle Regeln der Höflichkeit und des Anstands einzuhalten.
Nun saß sie auf einem goldfarbenen Stuhl und wippte mit dem Fuß zum Takt der Musik, während sie geduldig darauf wartete, zum Tanz gebeten zu werden. Sie war ausgesprochen hübsch, hatte sanfte braune Augen und dunkles Haar, das teils in weichen Locken ihr Gesicht umspielte, teils an ihrem Hinterkopf zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt war. Jedoch waren es die Lebhaftigkeit und die Lebensfreude, die in ihren Augen glitzerten, die sie aus der Menge der weiblichen Gäste hervorhob. Ein solches Mädchen blieb nicht lange unbemerkt, und so dauerte es kaum fünf Minuten, ehe der erste Herr, der sich als Lord March vorstellte, sie zum Tanz aufforderte.
Er blieb nicht der Einzige, sodass Selina bald geradezu belagert war und es auf ihrer Tanzkarte keinen freien Platz mehr gab. Einen solch umwerfenden Erfolg hatte Selina nicht erwartet.
Der Abend war schon zur Hälfte vergangen, als ihr ein gutaussehender Gentleman in scharlachroter Uniform auffiel. Ihr war, als flammten hundert Kerzen auf, seine Gegenwart schien den ganzen Saal zu erhellen. Er war sofort der Mittelpunkt einer Gruppe junger Leute, deren Gelächter zu Selina herüberschallte. Tatsächlich war er der ansehnlichste Mann im Saal und sichtlich beliebt und umschwärmt. Nach einer Weile schien er Selinas Interesse zu bemerken; ihre Blicke begegneten sich flüchtig. Ein unbekanntes, doch äußerst angenehmes Gefühl durchflutete sie. Obwohl sie es besser wusste, konnte sie ihren Blick einfach nicht von ihm abwenden.
Zwischen ihnen schien sich ein unsichtbares Band zu spannen. Als er sich bei seinen Freunden entschuldigte und sich durch die Menschenmasse einen Weg zu Selina bahnte, begann ihr Puls zu rasen. Ihr Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an, und ihr Herz schlug laut wie eine Trommel. Er kam. Er würde sie um einen Tanz bitten, aber ihre Karte war voll. Was sollte sie tun? Als sie ihm in die Augen schaute, war ihr, als würde sie darin ertrinken. Ihr stockte der Atem.
„Captain Moorcroft zu Ihren Diensten, Prinzessin“, sagte er mit kühnem Blick. Sehr selbstbewusst und geschmeidig verneigte er sich vor ihr, nahm ihr die Karte aus der Hand und strich den Namen Lord Marchs durch, der ihr nächster Tanzpartner sein sollte. „March wird es mir nicht abschlagen, sonst fordere ich ihn zum Duell.“
„Ich bin keine Prinzessin, und das hätten Sie nicht tun dürfen“, tadelte Selina, doch sie lachte dabei. Als er ihre Hand beiläufig berührt hatte, hatte ihr Herz vor Freude einen Sprung gemacht. Sie genoss diese seltsame, nie gekannte Erregung, die sie in seiner Nähe spürte. Mit einem Mal kam sie sich sehr verwegen vor, ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfass