1. KAPITEL
Marcus Salazar hätte den nachmittäglichen Ausritt weitaus mehr genossen, wenn er sein Handy auf der Ranch gelassen hätte.
Nachdem er zwei Anrufe aus dem Büro ignoriert hatte, hatte er das Telefon stummgeschaltet. Dennoch ertappte er sich immer wieder dabei, einen Blick darauf zu werfen. Er konnte einfach nicht anders. Schließlich war er hier in Montana auf der Mesa Falls Ranch, um den wichtigsten Geschäftstermin seines Lebens wahrzunehmen: In dem luxuriösen Tagungshotel im Westernstil wollte er einen Deal mit seinem Halbbruder Devon aushandeln, um endlich die volle Kontrolle über Salazar Media zu haben. Ihre Gespräche konnten gar nicht früh genug beginnen.
Als sein Handy erneut vibrierte, fischte er es aus der Brusttasche seines Leinenjacketts und sah, dass Devon ihn anrief. Vielleicht war sein Bruder endlich angekommen. Marcus nahm sich vor, höflich zu sein, damit das Treffen positiv begann. Zwar waren Devon und er nicht einer Meinung, was die Zukunft von Salazar Media – und alles andere – betraf, aber es hatte keinen Sinn, jetzt alte Streitigkeiten aufzuwärmen. Er würde einfach herausfinden, wie er Devons Anteile aufkaufen konnte, und dann würden sie endlich getrennte Wege gehen. Schnell wischte er über das Display, um den Anruf anzunehmen.
„Wir können uns in zwanzig Minuten im großen Salon treffen“, sagte Marcus ohne Einleitung, dankbar, dass das brave Appaloosa-Pferd nichts dagegen zu haben schien, dass er mit etwas anderem beschäftigt war. Die Zügel hielt er ruhig in einer Hand, in der anderen das Telefon. Schon in seiner Schulzeit hatte er Reiten gelernt. „Ich bin ausgeritten, während ich auf dich gewartet habe, aber ich bin gleich wieder bei der Lodge.“
Im Licht des späten Novembernachmittags sah er schon den mit Kiefern bestandenen Hügelkamm, in dessen Schutz der Stall der Zweitausendfünfhundert-Hektar-Ranch stand. Das Gelände lag in der Nähe des Bitterroot River. Sein Vater Alonzo Salazar war oft hier gewesen und hatte mehrfach davon gesprochen, dass er einmal mit Marcus und Devon herfahren wollte.
Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte böses Blut zwischen ihren Müttern geherrscht. Deshalb hatte die gemeinsame Reise nie stattgefunden. Später waren sich die beiden Brüder selbst nicht grün gewesen. Und jetzt war es zu spät. Marcus und Devon hatten im letzten Sommer Abschied von Alonzo Salazar genommen, der seinen Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs viel zu früh verloren hatte. Ihr Vater war nicht mehr da, und nur seinetwegen waren die Brüder auch außerhalb des Familienunternehmens höflich miteinander umgegangen.
Wahrscheinlich hätten sie den Rest ihrer Verbindungen auch auflösen können, ohne herzukommen, aber sie hatten ihrem Vater etwas versprochen, als er auf dem Sterbebett gelegen hatte: Sie sollten sich auf der Ranch treffen, bevor sie getrennte Wege gingen. Noch immer verstand Marcus nicht, warum ihr Dad so entschlossen gewesen war, seine Söhne in diesen westlichen Winkel Montanas zu locken.
„Leider bin ich noch nicht da.“ Devon kämpfte gegen eine Menge Hintergrundgeräusche an. Eine Lautsprecherdurchsage. Stimmengewirr. „Ich bin immer noch auf dem Flughafen in Mumbai.“
„Mumbai?“ Marcus lehnte sich im Sattel zurück und parierte das Pferd auf dem Reitweg durch, um sich vollkommen auf das Telefonat konzentrieren zu können. „Auf der anderen Seite des Erdballs?“
Frustriert erkannte er, dass Devon frühestens morgen eintreffen würde.
„Ich hätte ja schon eher angerufen, aber man hat mir mein Handy und meinen Pass gestohlen, und der Zoll hat mich …festgehalten.“ Devon klang stinksauer. Und erschöpft.
„Hast du das Handy denn jetzt wieder?“