Ich habe viele Wörter für »Insel« gelernt: Eiland, Atoll, Schäre, Holm. Sie existieren in der Gemeinschaft von Archipelen oder für sich allein, und ich habe sie immer in Verbindung mit dem Wasser gesehen. Das englische Wortisland kommt schließlich vom deutschen »Aue«, das wiederum vom lateinischenaqua (Wasser) stammt. Eine Insel ist ein schwimmendes Wort, ein Archipel, ein pelagischer Ort.
Das chinesische Wort für Insel weiß nichts vom Wasser. Für eine Zivilisation, die sich im Landesinneren entwickelt hat, ist die Unermesslichkeit der Berge die bessere Metapher:島 (dao, »Insel«, in Taiwanto ausgesprochen) setzt die Beziehung zwischen Erde und Himmel ins Bild. In dem Schriftzeichen steckt die Idee von einem Vogel –鳥 (niao) –, der sich auf einem einsamen Berg –山 (shan) –niederlässt.
Taiwan ist gerade mal 140 Kilometer breit, erklimmt auf dieser Distanz aber eine Höhe von fast viertausend Metern. Der Sprung von Meereshöhe bis hinauf zu den jäh aufragenden Gipfeln ermöglicht eine Fülle unterschiedlicher Habitate, sodass die Vielfalt der Wälder auf der Insel wesentlich größer ist, als ihr vergleichsweise kleiner Fußabdruck erwarten ließe. Die Küsten sind in salz- und sonnengegerbte Mangrovenwälder verpackt, weiter im Süden wächst dichter tropischer Dschungel. Die feuchte Hitze des tropischen Regenwalds geht über in gemäßigten Baumbewuchs; seine Laubhölzer klettern, bis sie weiter oben von Nadelbäumen abgelöst werden. Auf mittlerer Höhe überwiegt borealer Nadelwald mit kathedralengleichen Baumriesen, der sich über der Baumgrenze im Grasland verliert. Dort dehnen sich Schilfgrassteppen bis in den Hochgebirgshimmel hinein. Die Bäume sind gestaffelt wie die Höhenlinien einer Landkarte.
Taiwan, auf der Schnittstelle zweier Vulkanbögen gelegen, wurde in den Konflikt hineingeboren, eine instabile Landmasse, die sich in ständiger Konfrontation befindet. Die Insel liegt auf dem Pazifischen Feuerring – jener von Erdbeben und Vulkanausbrüchen heimgesuchten Zone südöstlich von China, westlich von Japan und nördlich der Philippinen – und markiert die Bruchkanten zweier tektonischer Platten, unter Geologen auch als »destruktive Plattengrenze« bekannt. Der Zusammenstoß der Eurasischen und der Philippinischen Platte presste vor sechs bis neun Millionen Jahren, während des Miozäns, die Insel hervor. Solche Kollisionen sind gewaltig; eine der Platten schiebt sich dabei unter die andere und drückt Landmasse aus dem Meer nach oben. Aber auch die Bruchkanten