1.Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts begriffen
Dieses Wort des großen dänischen Philosophen Kierkegaard habe ich kürzlich als Motto über der interessanten und bewegenden Biografie von Günther Maria Halmer, Theater-, Fernseh- und Filmschauspieler, gefunden.Fliegen kann jeder ist der Haupttitel, und dann folgt:Ansichten eines Widerborstigen.1
Der vielseitige Halmer, Jahrgang 1943, hat viel durchgemacht: Höhen und Tiefen des Lebens hat er durchmessen, Weiten und Engen unserer komplexen, modernen Zeit hat er genossen und erlitten. Zwei Säulen seiner eigenen und einer jeden Biografie sind ihm während seines unruhigen, ja rastlosen Berufslebens aufgegangen: einmal in Kanada, als Arbeiter in einer in den Bergen einsam gelegenen Asbest-Mine. Er war erst drei- undzwanzigjährig und war wie per Zufall dorthin, im Norden Kanadas, gelandet. Unglücklich über sein Leben und an seinen Unsicherheiten leidend, hoffte er sich zu finden.
Und welcher junge Mensch, früher oder später, macht sich nicht auf diese Suche, wenn ihn der Wein der Zeit nicht zu trunken macht? Denn an Süchten ist unsere Welt gewiss nicht arm. Vielleicht sind alle Süchte sogar ein hilfloser Ausdruck dieser Suche.
Der zweite Winter dort ging bereits ins Land.
Gerne möchte ich jetzt eine längere Passage aus dieser Zeit zitieren, um die erste der vorhin erwähnten Komponenten etwas sichtbar zu machen:
«Einmal wurde ich acht Nächte lang abkommandiert, die Lastwagen, die ihre Felsbrocken in die Halde hinabkippten, zu dirigieren und vor dem Abgrund zu warnen. Eine einsame, eintönige Beschäftigung bei minus fünfunddreißig Grad und eisigem Wind. Etwa jede halbe Stunde tauchte ein beladener Lastwagen auf, fuhr rückwärts an die Bergkante, kippte auf mein Zeichen die Ladung aus und verschwand, Dieselqualm hinterlassend, wieder in die Nacht. Dazwischen nichts als Stille, Kälte, Wind. Manchmal hüpfte ein weißer Schneehase vorbei. Ich hatte viel Zeit zu frieren und über mich und meine Zukunft