PROLOG
Amanda betrachtete ihr Abbild in dem langen Spiegel ihres Ankleidezimmers und seufzte, denn sie war keine Schönheit. Was hatte sie davon, eine reiche Erbin zu sein und im letzten Monat drei Anträge von Mitgiftjägern bekommen zu haben, wenn sie, höflich ausgedrückt, mollig war? Und das zu einer Zeit, da die Mode für Elfen gemacht zu sein schien und für Mädchen, die aussahen, als würde ein etwas stärkerer Windstoß sie umwehen.
Wäre sie doch nur nicht so eine Naschkatze oder doch wenigstens ein paar Zoll größer! An einem größeren Mädchen mochten ihre Rundungen vielleicht beeindruckend wirken, denn sie hatte wohlgeformte Brüste und weiblich gerundete Hüften, wie es den Gentlemen gefiel, aber sie war klein. Die Schuld an alledem trug Papa, denn er hatte sie verwöhnt, seit sie ein Kind gewesen war, hatte ihr Süßigkeiten und Kuchen gegeben und sie verhätschelt, hatte ihren Appetit geweckt auf süße Leckereien, auf die sie nicht mehr verzichten konnte, auch wenn sie ihre Figur ruiniert hatten.
Obwohl sie glänzendes dunkles Haar hatte und ihr Blick aus den grauen Augen offen und direkt war – welcher Mann konnte so ein hässliches Entlein zur Frau haben wollen? Ihr Gesicht war zu rund und hatte daher nicht die hübsche Form, die es hätte haben können, und sie hielt sich für unscheinbar und hässlich, trotz des vielen Geldes, das sie für Kleider ausgab. Wie sollte sie also darauf hoffen können, jemals den Mann ihrer Träume zu finden?
Oh, es gab viele, die ihr den Hof machten, und sie hatte in dieser Saison schon mehrere Angebote bekommen. Aber keiner der Gentlemen, die sich ihr erklärt hatten, hatte sie um ihrer selbst willen haben wollen. Und keiner von ihnen wäre von Papa akzeptiert worden. Lord Neville Hamilton wollte einen Ehemann für seine Tochter, der ihr den Lebensstil garantieren konnte, an den sie gewöhnt war. Allerdings wusste sie, dass Papa am Ende ihren Wünschen nachgeben würde, wenn ihr an einem der Gentlemen, die sich um sie bemühten, wirklich etwas lag. Doch keiner ihrer Verehrer hatte ihr schlaflose Nächte bereitet, denn sie hatte ihr Herz bereits an einen Mann verloren, den sie liebte, seit er ihr zum ersten Mal zugelächelt hatte.
Lieutenant Peter Phipps, der zweitgeborene Sohn von Lord Richard Piper und zweifellos der netteste Gentleman, den Amanda jemals das Vergnügen hatte zu treffen. Phipps, wie seine Freunde ihn nannten, war freundlich genug gewesen, um mit ihr auf einem Ball auf einem Landsitz zu tanzen, nachdem sie mehr als eine Stunde lang gänzlich unbemerkt von den meisten der anwesenden Herren nur dagesessen hatte. Zu jener Zeit war ihr Vermögen bescheiden gewesen, denn natürlich würde ihr älterer Bruder Robert Papas Besitz erben. Doch nur ein Jahr nach dieser schicksalhaften Begegnung, bei der sie ihr Herz verloren hatte, war Großtante Mariah Howard gestorben und hatte ihr gesamtes Vermögen ihrer Lieblingsgroßnichte hinterlassen, sehr zum Missfallen verschiedener anderer Nichten und Neffen, die darauf gehofft hatten, Lady Howard zu beerben.
Amanda hatte festgestellt, dass mehrere Gentlemen, für die sie noch vor einem Jahr unsichtbar gewesen war, jetzt begierig darauf waren, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Einige hatten ihr bereits einen Antrag gemacht, und wenn sie sich nicht irrte, stand ein weiterer junger Mann im Begriff, dies zu tun. Aber bedauerlicherweise hatte jener eine Gentleman, den sie geheiratet hätte, ob er sie nun wirklich liebte oder nicht, keinerlei Andeutungen in die Richtung gemacht, dass er vorhaben könnte, um ihre Hand anzuhalten – obwohl er stets freundlich war und immer stehen blieb, um mit ihr zu sprechen oder sie aufzufordern, wenn es ihr an Tanzpartnern fehlte.
Dass sie intelligent und gebildet war, versuchte Amanda zu verbergen, denn Mama hatte ihr einst gesagt, dass Gentlemen keine klugen Mädchen mochten. Papa mochte stolz sein auf ihre Fähigkeiten im Zeichnen, in Französisch, Latein und Mathematik und ebenso auf ihre Kenntnisse in einigen Bereichen der Wissenschaften, aber Mama sagte, es sei Zeitverschwendung, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Mama wünschte, dass ihre Tochter schöne Nadelarbeiten herzustellen vermochte, was sie tatsächlich konnte, und in der Lage war, verschiedene Dichter zu zitieren, das Pianoforte und die Harfe zu spielen und hübsch zu singen – das alles war unerlässlich für eine junge Dame ihres Standes. Amanda konnte das alles. Sie besaß auch, genau wie Papa, Sinn für Humor, obwohl Mama nicht immer verstand, warum sie beide über etwas lachten, denn sie teilte nicht ihren Spaß am Absurden.
Mama sagte, junge Damen brauchten einen Ehemann, damit sie Kinder haben konnten und ein gutes Zuhause, aber danach war es vernünftig, den eigenen Interessen nachzugehen und es den Gentlemen zu überlassen, das zu tun, was immer sie gern taten.
„Oh, du dummes, dumme Mädchen“, sagte Amanda zu ihrem Spiegelbild, und ein Anflug von Belustigung erschien in ihren Augen. „Sich nach einem Mann zu verzehren, nur weil er freundlich ist und immer auf deine Gefühle Rücksicht nimmt. Das ist lächerlich, und du solltest ihn dir aus dem Kopf schlagen. Er mag nett sein, aber er ist nicht in dich verliebt.“
Wie könnte er auch in das Mädchen verliebt sein, das sie im Spiegel gesehen hatte? Kein Mann wollte ein hässliches Entlein zur Frau – schon gar nicht ein Mann, der so groß und gut aussehend war wie Phipps. Sie wäre eine Närrin, auc