Dezember 1943, Máramarossziget, Siebenbürgen.
Nach Jahren der Angst, des Leids und des unaufhörlichen Kampfes gegen Hoffnungslosigkeit und Resignation waren die Jäger schließlich zu Gejagten geworden. In beständig zunehmendem Ausmaß strömten die nationalsozialistischen »Eroberer« durch unsere Stadt, frierend, hungrig und bestürzt, nach Westen zurückgedrängt durch die unaufhaltsame Wucht der russischen Gegenoffensive. Als wir ihre ausgezehrten Körper erblickten, ihre erfrorenen Hände und in Stofflappen gehüllten Füße, regte sich in unseren Herzen nicht mehr Mitleid als im Herzen des Máramaros-Gebirges mit seinen schneebedeckten Gipfeln, unberührt von den wechselnden Gezeiten der Geschichte. Jeder jüdischen Mutter, Ehefrau und Schwester galt der deutsche Soldat als Symbol allen Übels. Wir hassten ihn mit einem wilden, unauslöschlichen Hass. Er war verantwortlich für das Schicksal unserer Männer, die, eingezogen in Sklavenarbeitsbataillone, in den russischen Winter gehetzt worden waren, um halbverhungert, in Lumpen gekleidet und unbewaffnet Landminen zu entschärfen und den deutschen Armeen den Weg zu ebnen. Wer nicht von explodierenden Minen getötet wurde, erfror, verhungerte oder starb an den brutalen Schlägen, als Lohn für seine Dienstbarkeit. Mit den Armeen auf dem Rückzug kamen jetzt jedoch auch einige der Überlebenden zurück, kaum wiederzuerkennen, mit langen Bärten und durch das Leid gealterten Gesichtern. Doch sie lebten und – zumindest dachten wir das – waren in Sicherheit.
Ich arbeitete damals für drei und ersetzte mehrere Gynäkologen, die mit den Arbeitsbataillonen fortgeschickt worden waren. Ich half jungen Müttern, ihre Kinder auf die Welt zu bringen, linderte ihre Schmerzen, indem ich ihnen lange, optimistische Geschichten von einer friedvollen, sicheren Zukunft erzählte, wo es keine Nazis mehr geben würde, die ihr Leben und das ihrer Kinder bedrohten. Ich war unermüdlich und voller Hoffnung, belebt durch den Wind der Befreiung aus dem Osten und dem Westen.
Eines Nachmittags erschien ein ruhiger, kultivierter Herr in meiner Praxis.
»Ich bin Dr. Capesius«, stellte er sich vor, »medizinischer Handelsvertreter der I.G. Farben. Ich bringe Ihnen hier einige unserer neuesten Präparate, aber das ist – offen gestanden – nur ein Vorwand. Ich interessiere mich nicht für die heutige I. G. Farben. Sie sind ein grundlegender Bestandteil des Nazisystems, und obwohl ich sie immer noch vertrete, ist es mir egal, ob ich ihre Produkte verkaufe oder nicht. Ich bin hier, da ich weiß, dass Sie und Ihr Mann während der Weimarer Republik lange in Berlin gewesen sind. Ich möchte über Deutschland sprechen, wie es zu jener Zeit war und wie es wieder sein wird, wenn der Nationalsozialismus besiegt ist. Ich bitte Sie, mir zu vertrauen … Glauben Sie mir, es gibt viele Menschen in Deutschland, die wie ich nur für den Tag der Befreiung leben …«
Vertrauen konnte ich ihm nicht. Zumindest nicht sofort. Aber indem ich mich zur Raison rief, eine Nation nicht wegen der Verbrechen einiger ihrer Söhne zu verurteilen, auch wenn es sich um die Mehrzahl handeln sollte, lud ich ihn zu uns nach Hause ein, damit er meinen Mann und meinen Sohn kennenlernte.
Der lange Abend, den wir zusammen verbrachten, hebt sich in meiner Erinnerung wie ein farbenfrohes Bild vor einem schwarzen Hintergrund ab. Wir wohnten in einem schönen Haus, das Kornélia Prielle, der großen ungarischen Bühnenkünstlerin französischer Herkunft, gehört hatte. In den Wänden meines grünen Salons, behütet durch die Liebe und Achtung meines Mannes und meines Sohnes, fühlte ich mich glücklich und sicher. Dort sammelte ich jeden Abend die Kraft und den Willen, meine Arbeit, die zunehmend schwieriger wurde, fortzusetzen. Als Dr. Capesius zu Besuch war, sprachen wir über Musik und Literatur, über die künstlerischen und wissenschaftlichen Errungenschafte