: Florian Havemann
: Speedy - Skizzen Roman
: Europa Verlag GmbH& Co. KG
: 9783958903296
: 1
: CHF 24.00
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: Erzählende Literatur
: German
: 844
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wegen 'unnationalsozialistischer Lebensweise' sitzt der Maler Rudolf Schlechter 1938 in Berlin-Erkner in Untersuchungshaft. Der Grund ist sein als skandalös empfundenes Verhalten, das er zusammen mit seiner Frau 'Speedy' an den Tag legt. Er nutzt diese Gelegenheit, um sein Leben mit 'Speedy' aufzuschreiben. In 260 kurzen Kapiteln steuern all die Abenteuer und Betrachtungen auf eine 'andere' Ästhetik des Widerstands zu - strikt individualistisch, sexuell. Schlechter der Masochist, der Mann, der eine Frau sein möchte, wirft einen entwaffnend unverstellten Blick auf die Welt, rechts und links, oben und unten. Skandalös, bohrend und unterhaltend beschreibt und seziert er die anderen - und sich selbst immer mit. Weil 'Speedy' mit anderen Männern schlief, wurde Schlechter eingesperrt. Weil sie am Ende gezielt mit den richtigen schläft, kommt er schließlich wieder frei. Der große Roman über eine Liebesbeziehung in den wilden Zwanziger Jahren und in der Zeit des Nationalsozialismus ist inspiriert von der Figur des Malers Rudolf Schlichter (1890-1955), der in Berlins linken wie rechten Zirkeln mit Ernst Jünger, Bertolt Brecht und vielen anderen verkehrte.

Florian Havemann, geb. 1952 in Ost-Berlin, Sohn des bekannten DDR-Regimekritikers Robert Havemann, wurde 1968 verhaftet, weil er gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei protestierte. Nach seiner Haft bei der Stasi in Hohenschönhausen und im Jugendgefängnis Luckau machte er Berufsausbildung und Abitur im Reichsbahnausbesserungswerk Schöneweide. 1971 floh er in den Westen, wo er als Elektriker, Beleuchter und Hausmeister arbeitete, zuletzt in der Akademie der Künste Berlin. 1974-1977 erfolgte eine Schauspielausbildung bei Hermann van Harten, 1974-1979 studierte er zunächst Graphik-Design, dann Bühnenbild bei Achim Freyer an der Hochschule der Künste. 1977 inszenierte er einen Abend mit Texten des russischen Futuristen Velimir Chlebnikow: 'Auszüge aus den Tafeln des Schicksals'. 1978 begann seine Arbeit am 'Projekt: Speer', einem Theaterstück über Albert Speer, 1985 gründete er ein Theaterlaboratorium. Von 1986 an arbeitete er 15 Jahre als Reinigungskraft, schrieb 1989 ein Theaterstück über Rosa Luxemburg ('Rosa') und komponierte 1995/96 einen Zyklus von 37 Klavierstücken. 1998 brachte er die CD 'Sympathie mit dem Teufel' heraus. 1999 wurde er zum Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt, 2002 übernahm er die Kandidatur der PDS für den Bundestag auf der sächsischen Landesliste. Von 2002-2009 arbeite er an einem Zyklus von Theaterstücken über Politiker; von 2003 bis 2011 war er zusammen mit Daniel Küchenmeister und Helge Meves Herausgeber der im Internet erscheinenden 'Zeitschrift für unfertige Gedanken'. 2007 erscheint sein Werk 'Havemann' bei Suhrkamp und löst einen Skandal aus. Von 2009-2013 arbeitet er als Berater von Gregor Gysi im Deutschen Bundestag. 2016 erscheint sein Roman 'Bankrott'. Seit 2019 hat er eine eigene Galerie in Berlin, gesponsert von Albert Wenger, New York.

Kapitel 14: Heiliger Bimbam


Ein Monat ist um. Der erste – auf den wie viele noch folgen werden? Jahre? Und nicht etwa Monate bloß? Was heißt da bloß – ich hatte gedacht, nach einer Woche wieder draußen zu sein. Hatte es gehofft und hatte geglaubt, keine zwei Wochen hier überleben zu können. Ich lebe noch, und die Untersuchung meines hochnotpeinlichen Falles geht ununterbrochen weiter. Und konzentriert sich jetzt auf meine angeblichen Verbindungen zur katholischen Kirche, die hier über zwei theologische Schwänze gelaufen zu sein scheinen, so daß ich, ohne es so richtig gemerkt zu haben, und auf diesem Weg vom Heiligen Geist heimgesucht wurde. Ich finde das ja überhaupt einen bemerkenswerten Umstand, daß er sich nicht zeigt, wenn der Ungeist so gegen ihn anwütet, der nationalsozialistische – Adolf Hitler, der Führer aller Heiden, ist präsent, sehr sogar, und früher, zu früheren Zeiten hätte er doch dagegen losgedonnert, der eifersüchtige Gott. Er wird uns doch nicht etwa vergessen haben? Eine kleine Machtdemonstration, daß er mal ein bißchen Feuer regnen läßt, das wäre seinen bedrängten Seelen doch sehr willkommen und eine große Hilfe. Aber er zeigt sich nicht, er rührt sich nicht, wir sind ihm egal, und ich hatte ja wirklich amüsante Streitgespräche mit den beiden theologischen Untermietern und Beischläfern meiner Frau zum Thema Gott und lieb und Allmacht und was das denn überhaupt für eine abscheuliche Schöpfung sei, denn siehe da: Adolf Hitler und die Welt, sie ist ja nun wirklich nicht gelungen, ein Schlachthaus, eine Fehlkonstruktion, die Zeit für eine neue Sündflut ist da. Aber wir haben ja jetzt Wasser, auch das Weihwasser übrigens, aus der Wand, aus dem Wasserhahn, und man nenne das Fortschritt, und da scheint ja Gott nicht mehr mithalten zu können mit seiner Kreatur, dem fleißig fanatischen Erdenwurm – den Theologen machte das auch Spaß, mit mir zu diskutieren, disputieren, debattieren, und wahrscheinlich war es ihnen erst einmal nur sehr viel angenehmer, daß ich unsere notwendige Auseinandersetzung ins Geistige verlagerte und nicht daranging, sie mit dem großen Küchenmesser zu entmannen, denn dort in der Küche trafen wir ja notwendig zusammen, und dort auch fanden sie statt, zwischen Kartoffelschalen, abgegessenen Tellern und vollgestopften Aschenbechern, die beiden rauchten ja wie die Schlote, unsere heißen theologischen Streitereien, und sie zogen sich manchmal endlos hin, bis spät in die Nacht. Mal wechselten sie sich ab in ihrem Text, weil mal der eine, mal der andere bei Speedy im Schlafzimmer war, ein andermal ließen sie sich beide schon beim Frühstück von meinem verführerischen Geist gefangennehmen, und das gefiel Speedy dann überhaupt nicht, die mich irgendwann zur Arbeit ins Atelier abkommandierte.

Einmal, und ich würde schon sagen, daß das eine Zuspitzung von Speedy war, eine äußerst aggressive, da war ich mit den beiden zukünftigen Dottori der Theologie an einem Sonntag direkt nach der heiligen Messe, die wir zu viert besucht hatten, Speedy als wohl ein