Vorwort
von Dr. Ron Hunninghake
Der persönliche Hintergrund meines Anliegens
»Ron, wir müssen endlich den Osteoporose-Fluch unserer Familie ergründen!«
Die flehenden Worte meiner Cousine ließen mich auf dem Weg aus der Kirche, in der wir gerade den Trauergottesdienst für ihre Mutter besucht hatten, innehalten. Tante Lucile war die fünfte von neun wunderschönen Schwestern, die einen schrecklichen Tod starben – nach therapieresistenten Schmerzen und langer Behinderung aufgrund mehrerer schwerer Wirbelfrakturen.
Als Hausarzt war ich ratlos. Meine verstorbenen Tanten waren auf dem Bauernhof in einem engen Familienverband aufgewachsen. Außer einer der Schwestern hatte keine geraucht. Alle hatten sich gut ernährt und ein aktives Leben geführt. Abgesehen von Bluthochdruck und in einem Fall koronarer Arterienerkrankung waren alle recht gesund gewesen. Und trotzdem waren sie an schwerer Osteoporose gestorben.
Auch meine Mutter war bei Luciles Begräbnis. Sie war die zweitjüngste der neun Schwestern und mit Anfang 80 noch am Leben. Auch sie hatte einige Zentimeter ihrer Körpergröße eingebüßt und klagte über Rückenschmerzen. Sie nahm Bisphosphonate und ein Calcium-Ergänzungsmittel und ging ziemlich regelmäßig spazieren. Ihre DEXA-Scans waren trotzdem miserabel. Ich fragte mich die ganze Zeit: Was fehlt da?
Dann fiel mir plötzlich ein:Bekamen wir vielleicht von etwas zu viel?
Wenn in den USA mehr Calcium-Ergänzungsmittel konsumiert werden als irgendwo sonst auf diesem Planeten, warum erkranken dann dort viel mehr Menschen an Osteoporose als in jedem anderen Land?
Basiert das gesamte moderne Paradigma der Osteoporosevorbeugung und – behandlung möglicherweise auf einer falschen Annahme? Waren meine Tanten Opfer eines Calcium-Mythos, der aus der aggressiven Vermarktung von Milchprodukten und der allzu vereinfachten Annahme, dass schwachen Knochen im Grunde nur Calcium fehlt, geboren wurde?
DieRecommended Daily Allowances (RDAs, empfohlene Tagesdosierungen) der US-Regierung waren ursprünglich in Kriegszeiten entwickelt worden, um das absolute Minimum an Vitaminen und Mineralstoffen in der menschlichen Ernährung sicherzustellen. Im Laufe der Zeit jedoch vernachlässigten die RDAs die Umstände, unter denen sie erstmals formuliert wurden. RDA-Komitees »verkauften sich« oftmals an die Marketinginteressen des US-Landwirtschaftsministeriums, statt sich am ernährungsspezifischen Bedarf des amerikanischen Konsumenten zu orientieren. Diese geheimen Absprachen haben sich zu einem komplizierten Netz aus Ernährungsmythos und Verkaufskünsten auf dem Markt entwickelt. Das Ergebnis ist, dass die USA in der mutmaßlichen Lebenserwartung insgesamt auf Platz 33 rangieren, aber auf Platz 1, was die medizinischen Kosten anbetrifft.
Was mein Verständnis von klinischer Ernährung erweitert hat
1989 nahm meine medizinische Laufbahn eine überraschende Wende. Ich wurde medizinischer Direktor der angesehenen Riordan Clinic in Wichita im Bundesstaat Kansas. Deren Gründer, der verstorbene Dr. Hugh Riordan, war ein medizinischer Querdenker gewesen und hatte geglaubt, dass die komplexe Bedeutung der menschlichen Ernährung nicht auf Plattitüden wie »Heute schon Milch getrunken? «oder »Esst Bananen, sie liefern Kalium« reduziert werden kann.
Unter Dr. Riordans Mentorschaft habe ich gelernt, diese Massenvermarktung ernährungsspezifischer Behauptungen genauer zu hinterfragen. Dafür schickte ich Tausende schwer kranker und frustrierter Patienten für Tests in eines der ersten echten Ernährungslabors, das Bio-Center Laboratory (das zur Riordan Clinic gehört). Ich wollte ihre Nährstoffreserven, hormonellen Ungleichgewichte, Verdauungsstörungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, nicht diagnostizierten Infektionen und ihre Belastung mit Umweltgiften mit medizinisch geregelten Methoden objektiv bestimmen lassen. Mein Ziel war, korrigierbare zugrunde liegende Ursachen für ihre langwierigen Erkrankungen zu finden. Dr. Riordans Traum war ein neues medizinisches Paradigma von soliden klinischen Ernährungsempfehlungen.
Dr. Roger Williams, ein berühmter Pionier auf dem Feld der Ernährung, lehrte, dass eine hochwertige Ernährung nicht einfachmehr oderweniger bedeutet. In diesem Kontext meint »hochwertig« die richtige Menge der richtigen Nährstoffe und Nahrungsmittel, und zwar immer an die individuellen Bedürfnisse angepasst.
Was für den Einzelnen richtig und gut ist, muss anhand der Standards wissenschaftlicher Erkenntnisse berechnet werden, die sowohl aus großen Bevölkerungsstudien als auch aus den Messungen der individuellen genetischen und epigenetischen Bedürfnissen gewonnen und mit viel gesundem Menschenverstand abgewogen wurden.
Obwohl für die medizinische Forschung und für Therapien Milliarden und Abermilliarden ausgegeben werden, sterben dennoch Millionen an Krebs und Herzerkrankungen oder leiden an schwerer Osteoporose, chronischem Erschöpfungssyndrom, Diabetes, Adipositas, psychischen Erkrankungen und Autoimmunstörungen. Wenn man nach demWarum fragt, lautet die Antwort allzu oft: »Wir wissen einfach nicht, wieso es zu diesen Krankheiten kommt.«
Dies ist keine Beschuldigung der vielen gewissenhaften und häufig selbstlosen Mediziner, die ihr ganzes Leben der Krankheitsbekämpfung widmen. Wie einer meiner ehemaligen Partner einmal so passend klagte, wurde seine gesamte medizinische Laufbahn von der Diagnostizierung und sorgfältigen Dokumentation des langwierigen Hinscheidens seiner Patienten vereinnahmt. Er war ein wunderbarer Primärmediziner. Dann