: Eduard von Keyserling
: Schwüle Tage Novelle
: epubli
: 9783752999877
: 3
: CHF 0.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 62
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Graf Gerd von Fernow nimmt den Sohn Bill im Hochsommer mit auf den Landsitz der Familie. Bill ist durchs Abitur gefallen und soll in den Sommerferien für die Nachprüfung büffeln, anstatt mit dem Rest der gräflichen Familie kurzweiligen Strandurlaub zu machen. Der Vater nimmt Bill manchmal zu Verwandtenbesuchen mit, die auf das benachbarte Gut zu den Warnows führen. Bill liebt die blutjunge Cousine Gerda Warnow schon lange. Deren Schwester Ellita kommt für Bill nicht in Frage, denn sie ist älter als er, und Vetter Went begehrt die Schöne zur Frau. Durch einen Zufall erfährt Bill, dass Ellita bereits die Geliebte seines Vaters war.

Eduard Graf von Keyserling, geboren am 2. Mai in Tels-Paddern, Kurland, Russisches Kaiserreich und gestorben am 28. September 1918 in München, war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker. Während die frühen Romane (?Fräulein Rosa Herz. Eine Kleinstadtliebe? (1887) und ?Die dritte Stiege? (1892) noch unter dem Einfluss des Naturalismus stehen, gilt Keyserling aufgrund seiner ab 1903 veröffentlichten Erzählungen, Novellen und Romane als einer der wenigen bedeutenden impressionistischen Erzähler.

Schon die Eisenbahnfahrt von der Stadt nach Fernow, unserem Gute, war ganz so schwermütig, wie ich es erwartet hatte. Es regnete ununterbrochen, ein feiner, schiefniedergehender Regen, der den Sommer geradezu auszulöschen schien. Mein Vater und ich waren allein im Coupé. Mein Vater sprach nicht mit mir, er übersah mich. Den Kopf leicht gegen die Seitenlehne des Sessels gestützt, schloß er die Augen, als schlafe er. Und wenn er zuweilen die schweren Augenlider mit den langen, gebogenen Wimpern aufschlug und mich ansah, dann zog er die Augenbrauen empor, was ein Zeichen der Verachtung war. Ich saß ihm gegenüber, streckte meine Beine lang aus und spielte mit der Quaste des Fensterbandes. Ich fühlte mich sehr klein und elend. Ich war im Abiturientenexamen durchgefallen, ich weiß nicht durch welche Intrige der Lehrer. Bei meinen bald achtzehn Jahren war das schlimm. Nun hieß es, ich wäre faul gewesen, und statt mit Mama und den Geschwistern am Meere eine gute Ferienzeit zu haben, mußte ich mit meinem Vater allein nach Fernow, um angeblich Versäumtes nachzuholen, während er seine Rechnungen abschloß und die Ernte überwachte. Nicht drüben mit den anderen sein zu dürfen, war hart; eine glatt verlorene Ferienzeit. Schlimmer noch war es, allein mit meinem Vater den Sommer verbringen zu müssen. Wir Kinder empfanden vor ihm stets große Befangenheit. Er war viel auf Reisen. Kam er heim, dann nahm das Haus gleich ein anderes Aussehn an. Etwas erregt Festliches kam in das Leben, als sei Besuch da. Zu Mittag mußten wir uns sorgsamer kleiden, das Essen war besser, die Diener aufgeregter. Es roch in den Zimmern nach ägyptischen Zigaretten und starkem, englischen Parfüm. Mama hatte rote Flecken auf den sonst so bleichen Wangen. Bei Tisch war von fernen, fremden Dingen die Rede, Ortsnamen wie Obermustafa kamen vor, Menschen, die Pellavicini hießen. Es wurde viel Französisch gesprochen, damit die Diener es nicht verstehen. Ungemütlich war es, wenn mein Vater seine graublauen Augen auf einen von uns richtete. Wir fühlten es, daß wir ihm mißfielen. Gewöhnlich wandte er sich auch ab, zog die Augenbrauen empor und sagte zu Mama: »Mais c'est impossible, comme il mange, ce garçon!« Mama errötete dann für uns. Und jetzt sollte ich einen ganzen Sommer hindurch mit diesem mir so fremden Herrn allein sein, Tag für Tag allein ihm gegenüber bei Tisch sitzen! Etwas Unangenehmeres war schwer zu finden.

Ich betrachtete meinen Vater. Schön war er, das wurde mir jetzt erst deutlich bewußt. Die Züge waren regelmäßig, scharf und klar. Der Mund unter dem Schnurrbart hatte schmale, sehr rote Lippen. Auf der Stirn, zwischen den Augenbrauen, standen drei kleine, aufrechte Falten, wie mit dem Federmesser hineingeritzt. Das blanke Haar lockte sich, nur an den Schläfen war es ein wenig grau. Und dann die Hand, schmal und weiß, wie eine Frauenhand. Am Handgelenk klirrte leise ein goldenes Armband. Schön war das alles, aber Gott! wie ungemütlich! Ich mochte gar nicht hinsehn. Ich schloß die Augen. War denn für diesen Sommer nirgends Aussicht auf eine kleine Freude? Doch! Die Warnower waren da, nur eine halbe Stunde von Fernow. Dort wird ein wenig Ferienluft wehn; dort war alles so hübsch und weich. Die Tante auf ihrer Couchette mit ihrem Samtmorgenrock und ihrer Migräne. Dann die Mäd