Ich wurde nicht plötzlich krank. Nicht von einem Tag auf den anderen. Obwohl manches durchaus überraschend begann. Die Panikattacken zum Beispiel. Sie kamen lautlos wie ein Greifvogel, der maximal einen Schatten vorwegwirft, bevor er zupackt. Dann waren sie da und gingen nieder, wann immer es ihnen passte. Anderes glich mehr einem langsamen Dämmern, einem kaum merklichen Verschwinden von Tageslicht. Die Depression, die dem Leben nach und nach die Leuchtkraft nahm, bis ich eines Tages aufwachte und alles nur noch eine einzige Farbe hatte: grau. Und dann war da noch das, was gar keinen richtigen Anfang hatte, sondern gefühlt schon immer da war, meine Angst vor dem Leben, meine Angst vor der Welt jenseits der Wohnungstür, Bestandteil eines jeden Tages, selbstverständlich wie das Atmen oder Niesen, und ich konnte mich nicht daran erinnern, dass es jemals anders gewesen war.
Therapeut*innen kritzelten Diagnosekürzel auf Klemmbretter, F 40.01, F 48.1, F 60.31, F 40.2., F 45.2, F 33. Auf dem Papier nur ein paar Buchstaben und Zahlen, würfelten meine psychischen Erkrankungen in der Realität meine Träume, Wünsche und Pläne durcheinander und machten mich zu einer, die immer ein bisschen »anders« war.
Was würden die meisten Menschen erzählen, die man nach ihrem Leben fragen würde? Vielleicht würden sie auflisten, was sie erreicht haben. Die anerkannten Punkte auf der Liste: der höchste Schulabschluss, der erste Job und der beste, die Hochzeit, die Flitterwochen auf Bali, die Kinder, erst eines, dann zwei, der Hausbau, der Labrador, die Beförderung. Mit meinen 35 Jahren kann ich nicht sehr viele Punkte davon abhaken. In meinem Fall geht es um einTrotzdem, weil ich nicht einfach auf das Leben drauflos habe gehen können, sondern weil es immer irgendeine Umleitung gegeben hat, spärlich ausgeschildert, weil nichts sich einfach so ergab, wie es sich im Leben anderer Leute ergibt, weil da stets ein Fragezeichen stand, auch vor den Ereignissen, die selbstverständlich scheinen. Statt ins Leben zu stürmen, begab ich mich auf den Weg der Heilung, zu meinen Gefühlen, zu meiner Verletzlichkeit. Die Reise ging nach innen. Eine Richtung, die unsere Gesellschaft fast vergessen hat.
Dabei erkrankt jeder vierte Mensch in Deutschland im Laufe seines Lebens an einer psychischen Erkrankung. Trotzdem trauen sich viele Betroffene nicht, offen darüber zu reden. Seelisch nicht gesund zu sein, ist noch immer mit Scham und Schuld besetzt und der Angst, im privaten und beruflichen Umfeld abgelehnt zu werden. Wer psychisch krank ist, gilt in den Augen vieler immer noch als schwach. Die Leistungsgesellschaft gibt den Ton vor. Nur wer funktioniert, ist etwas wert. Und man wird sich doch wohl ein bisschen zusammenreißen können!
Aber psychische Erkrankungen sind nicht das Resultat fehlender Willensstärke. Ganz im Gegenteil. Ein Leben mit ihnen erfordert viel Kraft. Kraft, sich auch nach Rückschlägen immer wieder aufzurappeln, den Dreck aus den Zähnen zu bürsten und weiterzumachen. Kraft, um an manchen Tagen nur robbend voranzukommen. Und Kraft, weil es immer noch viel Mut braucht, um in unserer Gesellschaft trotz und mit ihnen zu leben.
Die Schriftstellerin Virginia Woolf, die selbst an Depressionen und Schizophrenie litt, schreibt, dass die meiste