: Thomas Sandkühler
: Das Fußvolk der 'Endlösung' Trawniki, 'fremdvölkische' Polizeieinheiten und die europäische Dimension des Völkermordes
: wbg Academic in der Verlag Herder GmbH
: 9783534746217
: 1
: CHF 16.70
:
: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 430
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nichtdeuts he Täter in deutschen Diensten: ein bisher wenig beachtetes Kapitel des Holocaust Die Rekrutierung und Mitbeteiligung nichtdeutscher Kollaborateure an den Gräueltaten des NS-Regimes nahm lange Zeit keinen großen Platz im allgemeinen Geschichtsbewusstsein ein. Erst der Strafprozess gegen den ehemaligen ukrainischen KZ-Wachmann John Demjanjuk 2009 brachte das Thema einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein. Der Historiker Thomas Sandkühler hat, basierend auf zwei Gerichtsgutachten in ähnlichen Fällen, eine ausführliche Analyse der Bedeutung »fremdvölkischer« Hilfskräfte für die Durchführung nationalsozialistischer Vernichtungsaktionen in Osteuropa erstellt. - »Trawniki-Männer« und ukrainische Hilfspolizisten: Zwangsarbeiter oder Mittäter der SS-Soldaten? - Die Vernichtungslager Be??ec, Sobibór und Treblinka: Mittelpunkt der »Aktion Reinhardt« - Deutsche Besatzungspolitik: Konkurrenz der Instanzen zwischen Beamtenapparat und SS- und Polizeiapparat - Sowjetische Strafverfolgung als Impulsgeber zur Erforschung dieses Themas - Weshalb ein halbes Jahrhundert verging, bis das zeitgeschichtliche Erbe des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs angenommen wurde Wer war das Fußvolk? Die Mittäter der osteuropäischen Judenvernichtung Den hier untersuchten Mittätern wurden vor allem deshalb Waffen in die Hand gegeben, weil die neokoloniale Herrschaftsordnung des deutschen Naziregimes ohne Kollaborateure nicht funktioniert hätte. Die Rangordnung, von Deutschen hinunter zu Nichtdeutschen, stand jedoch nie in Frage: Sowohl »Trawniki-Männer« und ukrainische Hilfspolizisten waren stets nur die ausführenden Organe.  Thomas Sandkühler hat mit dieser Untersuchung erstmals die europäische Dimension der osteuropäischen Judenvernichtung in dieser Ausführlichkeit beleuchtet. Kenntnisreich und detailliert beschreibt er die Zusammenhänge zwischen Tatort, Tat und Tätern, vom Hitler-Stalin-Pakt bis zu den späten Strafprozessen im 21. Jahrhundert.

Thomas Sandkühler, geb. 1962, ist Historiker und Professor für Didaktik der Geschichte an der Humboldt Universität Berlin. 2010/11 verfasste er für zwei große Prozesse in Dortmund und München Sachverständigengutachten über sogenannte 'fremdvölkische' Polizeiformationen. Dabei gewann er Einblick in umfangreiche Dokumente des Office of Special Investigations (OSI), die den Grundstein legten zu der vorliegenden großen Darstellung. Sandkühler hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zu Themen der deutschen Zeitgeschichte verfasst, zuletzt erschien seine brillante Biografie 'für junge Leute' 'Adolf H. Lebensweg eines deutschen Diktators' (2015), die inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt worden ist.

Einleitung:
Die europäische Dimension
des Holocaust: Nichtdeutsche Täter
in deutschen Diensten


Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 war eine entscheidende Zäsur in der Gewaltgeschichte des NS-Staates. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Verfolgung angenommener und tatsächlicher politischer Gegner sowie die Drangsalierung der jüdischen Minderheit vergleichsweise wenige Todesopfer gefordert.1 Der Krieg änderte alles. Massenhafte Gewalt, die in der Struktur von Hitlers Herrschaft von vornherein angelegt war, wurde nun zum bestimmenden Merkmal der Politik, allerdings ganz überwiegend außerhalb der deutschen Grenzen.2

Während beispielsweise die stalinistische Sowjetunion ihre eigenen Bürger unter Generalverdacht stellte und millionenfach umbrachte, richtete sich der nationalsozialistische Furor gegen die Staatsangehörigen der von der Wehrmacht besetzten Länder. Demgegenüber war der Anteil Deutscher und Österreicher an der Gesamtzahl der Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gering.3 Es bestand, mit anderen Worten, ein enger Zusammenhang zwischen Besatzungspolitik und Massenmord. Unter den rund 13 Millionen Opfern deutscher Tötungen außerhalb von Kampfhandlungen stellten die Juden mit rund 6 Millionen die mit Abstand größte Gruppe, gefolgt von sowjetischen Kriegsgefangenen mit rund 3 Millionen von der Wehrmacht getöteten Kombattanten.4

Die nationalsozialistische Führung strebte die vollständige Auslöschung des jüdischen Volkes im Machtbereich des Deutschen Reiches an. Durchgeführt wurde dieser Völkermord mit Waffengewalt auf dem Territorium der UdSSR sowie in besonderen Lager auf dem Territorium Polens. Dies waren einerseits die Lager Chełmno im Warthegau und Auschwitz-Birkenau in Oberschlesien, beide juristisch deutsches Staatsgebiet. Diese waren zum anderen Bełżec, Sobibór und Treblinka, die in den Distrikten Lublin und Warschau des so genannten Generalgouvernements, also in Ostpolen, errichtet wurden.5

Die drei letztgenannten Lager standen im Mittelpunkt der »Aktion Reinhardt«, eines Vernichtungs- und Raubprogramms größten Ausmaßes, dem in den Jahren 1942/43 deutlich mehr Juden zum Opfer fielen als Auschwitz-Birkenau.6 Im September 1942 erreichte der Holocaust seinen grässlichen Höhepunkt. Zu keinem Zeitpunkt vorher oder nachher wurden so viele jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet wie im Spätsommer dieses Jahres.7 Die Massenverhaftungen, Deportationen, Erschießungen und Giftgasmorde der »Aktion Reinhardt« zeigen aufs Neue, dass der in der Geschichtsschreibung beider deutscher Staaten zunächst dominierende Topos vom »maschinellen«, gewissermaßen lautlos und menschenleer ablaufenden Genozid keine Entsprechung in der Realität hatte.8 Hier wurde von Angesicht zu Angesicht getötet und maximale Gewalt angewendet.

Als die Rote Armee Polen befrei