Einleitung:
Die europäische Dimension
des Holocaust: Nichtdeutsche Täter
in deutschen Diensten
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 war eine entscheidende Zäsur in der Gewaltgeschichte des NS-Staates. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Verfolgung angenommener und tatsächlicher politischer Gegner sowie die Drangsalierung der jüdischen Minderheit vergleichsweise wenige Todesopfer gefordert.1 Der Krieg änderte alles. Massenhafte Gewalt, die in der Struktur von Hitlers Herrschaft von vornherein angelegt war, wurde nun zum bestimmenden Merkmal der Politik, allerdings ganz überwiegend außerhalb der deutschen Grenzen.2
Während beispielsweise die stalinistische Sowjetunion ihre eigenen Bürger unter Generalverdacht stellte und millionenfach umbrachte, richtete sich der nationalsozialistische Furor gegen die Staatsangehörigen der von der Wehrmacht besetzten Länder. Demgegenüber war der Anteil Deutscher und Österreicher an der Gesamtzahl der Opfer nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gering.3 Es bestand, mit anderen Worten, ein enger Zusammenhang zwischen Besatzungspolitik und Massenmord. Unter den rund 13 Millionen Opfern deutscher Tötungen außerhalb von Kampfhandlungen stellten die Juden mit rund 6 Millionen die mit Abstand größte Gruppe, gefolgt von sowjetischen Kriegsgefangenen mit rund 3 Millionen von der Wehrmacht getöteten Kombattanten.4
Die nationalsozialistische Führung strebte die vollständige Auslöschung des jüdischen Volkes im Machtbereich des Deutschen Reiches an. Durchgeführt wurde dieser Völkermord mit Waffengewalt auf dem Territorium der UdSSR sowie in besonderen Lager auf dem Territorium Polens. Dies waren einerseits die Lager Chełmno im Warthegau und Auschwitz-Birkenau in Oberschlesien, beide juristisch deutsches Staatsgebiet. Diese waren zum anderen Bełżec, Sobibór und Treblinka, die in den Distrikten Lublin und Warschau des so genannten Generalgouvernements, also in Ostpolen, errichtet wurden.5
Die drei letztgenannten Lager standen im Mittelpunkt der »Aktion Reinhardt«, eines Vernichtungs- und Raubprogramms größten Ausmaßes, dem in den Jahren 1942/43 deutlich mehr Juden zum Opfer fielen als Auschwitz-Birkenau.6 Im September 1942 erreichte der Holocaust seinen grässlichen Höhepunkt. Zu keinem Zeitpunkt vorher oder nachher wurden so viele jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet wie im Spätsommer dieses Jahres.7 Die Massenverhaftungen, Deportationen, Erschießungen und Giftgasmorde der »Aktion Reinhardt« zeigen aufs Neue, dass der in der Geschichtsschreibung beider deutscher Staaten zunächst dominierende Topos vom »maschinellen«, gewissermaßen lautlos und menschenleer ablaufenden Genozid keine Entsprechung in der Realität hatte.8 Hier wurde von Angesicht zu Angesicht getötet und maximale Gewalt angewendet.
Als die Rote Armee Polen befrei