Prolog des Herausgebers
Viele wussten, wer er war, aber richtig gekannt hat ihn kaum einer. Seinesgleichen findet man heute nicht mehr. Ziegler hieß er, Bruno Ziegler. Manchmal behauptete er scherzend, man habe ihn nach dem Ketzer Giordano Bruno getauft, und eines Tages werde auch er auf dem Campo de’ Fiori enden.
Von Beruf war er Notar, Doktor beider Rechte, des zivilen und des kanonischen. Unter seinen Eigenheiten stach eine hervor: Er schrieb immer alles auf. Penibel wie er war, legte er Verzeichnisse an, verfasste Aktennotizen, protokollierte, dokumentierte, wie man es ihm im Studium beigebracht hatte nach der Devise: Was nicht dokumentiert ist, existiert nicht. Daran hielt er fest. Bis zum Schluss. Stets hatte er sein Notizbuch zur Hand. Nur der letzte Eintrag fehlt.
Alles andere liegt vor. Diese Aufzeichnungen übergebe ich hiermit der Öffentlichkeit. Das bin ich ihm schuldig, und ich bin sicher, dass er es so gewollt hätte, denn ich kannte ihn gut. Bruno Ziegler war mein Freund. Er war beruflich viel unterwegs. Aber von seiner letzten Reise kam er nicht mehr lebend nach München zurück. Wie oft er schon nach Italien gefahren ist, kann ich nicht zählen. Schließlich lebte er sogar eine Zeitlang in diesem Land, in das er regelrecht vernarrt war, wohl wissend, dass es nirgendwo auf der Welt so viele „Italienkenner“ gibt wie in München. Mit denen hatte er nichts zu tun.
Als der Eurocity EC 82 aus Bologna Centrale an Josephi vergangenen Jahres mit 13 Minuten Verspätung um 22 Uhr vierzig im Münchner Hauptbahnhof einlief, fanden Angehörige der Putzkolonne seine Leiche in einem Abteil Erster Klasse, dessen Vorhänge zugezogen waren. Da waren die Waggons schon zur Reinigung abgestellt: nicht auf dem Campo de’ Fiori, sondern hinter dem Ostbahnhof. Der Tote hatte ein Loch im Kopf, allem Anschein nach war er mit einer Pistole aus nächster Nähe erschossen worden. Er war sofort tot. Es war ein Augenschuss. Jeder Krimileser weiß, dass dies gewöhnlich jemandem gilt, der etwas gesehen hat, das er nicht hätte sehen sollen. Neben ihm lagen ein zerlesenes Exemplar des RomansPalermo Connection und ein nagelneuer Hut. Ein feines italienisches Modell, einBorghi Lorenzo. Wie der gerichtsmedizinische Befund ergab, muss die Tat nach der obligatorischen Grenzkontrolle auf dem letzten Teil der Strecke zwischen Rosenheim und München ausgeführt worden sein. Niemand hatte etwas gesehen oder geh