1Einleitung: Political Correctness als Korrektheitshandeln
Political Correctness als Haltung. Im Dezember 2018 veröffentlichte dieSüddeutsche Zeitung eine Anfrage beim Moral-Kolumnisten ihres Magazins: „Im Studium lerne ich ständig neue Menschen kennen. Für viele von ihnen scheint der Gebrauch des Wortes ,behindert‘ im Sinne von ,doof‘ normal zu sein. Ich finde, das geht gar nicht, und möchte es nicht unkommentiert stehen lassen, mir aber auch nicht den Ruf der politisch korrekten Spaßbremse einhandeln. Was soll ich tun?“ (Erlinger 2018). Rainer Erlinger verwies in seiner Antwort darauf, dass man sich kaum einer verächtlichen Sprache bedienen könne, ohne auch verächtlich zu denken. Sprache könne durch die Art ihrer Verwendung negative Assoziationen auslösen und verstärken „und damit Menschen ausgrenzen und pauschal herabwürdigen“ (ebd.). Hier gelte es Stellung zu beziehen und ein solches Sprechen zu kommentieren – worin eine spezifische Haltung zum Ausdruck komme. Das ist dem Konzept eingeschrieben: Zu Political Correctness lässt es sich nichtnicht positionieren. Bereits der Gebrauch des Begriffs ist Teil einer Debatte.
Political Correctness als nicht-kränkendes Sprechen und Handeln. Einige mit Political Correctness1 assoziierte Forderungen sind inzwischen im gesellschaftlichen Mainstream als Anspruch verankert und umgesetzt worden – und lassen manche von einer kulturellen Hegemonie im Sinne Antonio Gramscis Verständnis von konsensfähigen Aussagen sprechen. Dazu zählen geschlechterneutrale Stellenausschreibungen sowie die Tabuisierung und Nichtverwendung rassistischer Begriffe. Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten 2016 steht Political Correctness wieder auf der Agenda. Wahlerfolge nationalkonservativer Parteien und die öffentlichkeitswirksame Präsenz rechter Bewegungen in Deutschland sorgen für eine Renaissance. Political Correctness ist dabei eine prominente Zielscheibe der Kritik. Wer den Begriff in wertschätzender Weise gebraucht, gilt häufig als naiv, unvorsichtig oder doktrinär. Laut aktuellem Duden bezeichnet Political Correctness eine „Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird“. Gemeint ist damit zunächst einmal nicht-kränkendes Sprechen und Handeln gegenüber benachteiligten Menschengruppen. Was ist daran problematisch?
Political Correctness als unvermeidbare Positionierung. Zunächst ist eine wissenschaftliche Distanz zu Political Correctness nur schwer herzustellen. Das ist auch nicht weiter schlimm. Denn Äußerungendarüber sind Positionierungen: Wer spricht wie? Welche Begriffe und Sprachformen werden gewählt, welche vermieden? Was wird nicht gesagt? Wer wird womit angesprochen? Bereits der Titel eines Buches ermöglicht eine rasche Verortung, Inhaltsverzeichnis und zitierte Literatur räumen Zweifel weitgehend aus. Entsprechend sind Äußerungen zu Political Correctness als öffentliches Sprechenstatements. Schließlich aktiviert jede Aussage Bedeutungskontexte, und diese ändern sich mit der Zeit. Sprachneutralität ist damit schwer vorstellbar. Das gilt auch für mich als weiße Autorin: Wenn ich von Bürger*innen statt von Bürgern schreibe und Begriffe wie das N-Wort vermeide, treffe ich damit Aussagen über Geschlechtergerechtigkeit, Sexismus, Rassismus und nicht-diskriminierende Sprache, verteidige bestimmte Sprachnormen und lehne andere ab.Wie ich über Political Correctness schreibe, ist meine Positionierung dazu. Denken, Sprechen und Handeln konvergieren im Verständnis von Political Correctness, weil der Begriff Political Correctness kontext- und milieuabhängig ist. Grundsätzlich kann er Bilder von Fürsorge und Schutz oder auch von Strenge und Zensur aktivieren. Aus der linguistischen Ideologieforschung gibt es dazu ein ernüchterndes Ergebnis: „Der Frame, der durch Political Correctness aktiviert wird, erzählt von politischer Bevormundung und Einmischung, nicht aber von Empathie und Schutz.“ (Wehling 2016a: 301). Das liegt an den beiden Komponenten des Ausdrucks:Politisch impliziert Regierung und Einmischung,korrekt distanziert sich vom spontanen täglichen Miteinander und steht für eine Reglementierung durch andere. Das lässt auch an preußische Disziplin denken, weshalb Diedrich Diederichsen (1996: 50) bereits vor einem Vierteljahrhundert die Übersetzungpolitisch richtig bevorzugt – andere lehnen den Begriff Political Correctness aufgrund solcher Konnotationen ganz ab. Nicht zuletzt seit dem jüngsten Aufschwung autoritärer und nationalistischer Strömungen in Europa und Nordamerika hat Political-Correctness-Kritik breite Konjunktur. Das lässt sich durchaus als Erfolg emanzipatorischer Bewegungen deuten: Ihre Forderungen werden gehört – und provozieren Abwehr. Aber sie sind da.
Öffentlichkeit und Aushandlung. Politisch korrektes Sprechen ist anerkennungsorientiertes Sprechen gegenüber Minderheiten und ausgegrenzten Gruppen. Dazu gehören Würde, Respekt, Vermeidung von Beleidigungen und Ausgrenzungen. Es ließe sich mit durchaus konservativem Unterton auch Anstand nennen. Korrekt ist dabei der Sinn für Gerechtigkeit, das grundsätzliche Gefühl der Solidarität mit anderen Menschen, Fairness, Aufrichtigkeit und auch Selbstkritik: „Es gibt Dinge, die sind erlaubt,und man tut sie trotzdem nicht, aus einem ganz persönlichen Empfinden heraus tut man sie nicht.“ (Hacke 2018: 140). Dabei geht es noch gar nicht um rechtliche Ansprüche und Belange. Im Vordergrund von Political Correctness steht die Berücksichtigung, Anerkennung und Gleichberechtigung gesellschaftlicher Minderheiten und Benachteiligter auch in der Sprache. Es ist die Forderung, auf eine bestimmte Art und Weise über solche Personen, Gruppen und Phänomene zu sprechen. Den Ausgangspunkt bilden deren Wahrnehmung als benachteiligt und auch deren Wunsch nach angemessener Anrede und Behandlung. Politisch korrektes Sprechen ist damit auch immer kontextbezogen und entsprechend eine Sache der Aushandlung. Dies findet in der Öffentlichkeit statt.
Definition Political Correctness/Korrektheitshandeln. Political Correctness bezeichnet die Norm anerkennenden Sprechens gegenüber Minderheiten und ausgegrenzten Gruppen. Mehr noch ist Political Correctness auch Maßstab für die Kongruenz anerkennenden Denkens, Sprechens und Handelns, das auch eigene Privilegien und Etabliertenvorrechte reflektiert und für gesellschaftliche Veränderung in Richtung Gleichheit und Gerechtigkeit eintritt. Davon ist euphemistisches als verschleierndes und beschönigendes Sprechen abzugrenzen. Dieses benennt Ungerechtigkeiten und negative Sachverhalte gerade nicht. Vielmehr erfolgt es oftmals in ironischer Form und zumeist aus der Position der Stärkeren gegenüber Schwächeren und Benachteiligten. Euphemistisches Sprechen markiert darüber hinaus einen Widerspruch zwischen Sprechen und Handeln. Das entspricht Angelika Wetterers (2013) auf Geschlechterverhältnisse gemünztes Modell rhetorischer Modernisierung, wonach eine Entwicklung in Richtung Gleichstellung häufig zwar sprachlich stattfindet, die realen Praktiken davon aber deutlich abweichen. Ein Alltagsbeispiel dafür ist behauptete Geschlechtergerechtigkeit bei tatsächlicher traditioneller Mehrarbeit von Frauen im eigenen häuslichen Alltag; ein anderes wäre die Betonung einer umweltbewussten Einstellung bei gleichzeitiger Benutzung eines SUV zum Zigarettenholen. Dieser über Sprache hinausgehende Handlungsaspekt gehört im engen Sinn nicht mehr zu Political Correctness. Er ist aber wichtig, weshalb ich dafür den Begriff Korrektheitshandeln verwende. Gemeint ist damit die Kongruenz von Sprechen, Denken und Handeln im Sinn einer Veränderung von Gesellschaft. Darunter fiele beispielsweise ökologische Korrektheit als individuelle wie auch institutionelle Praktik, die auf eine Verlangsamung des Klimawandels zielt. Im letzten Kapitel zu Political Correctness als solidarischem Streiten werde ich diesen Aspekt in den Vordergrund stellen. Political Correctness im engeren Sinn dagegen fokussiert Sprechhandeln, reflektiert den eigenen Status und berücksichtigt Kontexte, Institutionen und Strukturen öffentlichen Sprechens. Political Correctness lässt sich mithin...