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Und wer da überwindet und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Heiden; und er soll sie weiden mit einem eisernen Stabe, und wie eines Töpfers Gefäß soll er sie zerschmeißen.
Die Offenbarung des Johannes 2,26 f.
Niederösterreich – 13. März
Adam Shane saß blass und schweißgebadet auf dem Bett. Seine langen blonden Haare klebten in seinem Gesicht, seine Hände suchten nach Halt an der Bettkante, und er atmete einmal sehr tief durch, als ob er, kurz vor dem Ertrinken nach Luft ringend, aus dem Meer emporkäme. Es war gerade sechs Uhr in der Früh, und jeden Moment müsste ihn sein Wecker endgültig in die vertraute Welt zurückholen.
Stattdessen verlor er plötzlich das Augenlicht.
»O mein Gott, was geschieht hier?«
Bei dem Versuch, sich vom Bett zu erheben, fiel er sofort wieder um. Er hatte kein Gefühl mehr für sein Gleichgewicht, und als er die Augen wieder öffnete, konnte er seine vertraute Umgebung nur noch in unterschiedlichen Lichtkonturen sehen. Jede Zelle seines Körpers löste sich fühlbar auf und verband sich mit der Umgebung; es gab keine Trennung mehr zwischen seinem Körper, der Umwelt und der Materie an sich. Als er gerade dachte, es würde sich wieder legen, rasten Bilder durch seinen Geist, die ihm die Jahrhunderte wie eine Collage der Menschheitsgeschichte vorführten. Und als es über die Gegenwart hinaus in die Zukunft gehen sollte, brach alles plötzlich ab. Er kam wieder zu sich, seine Augen erfassten wieder das ihm vertraute Schlafzimmer, und sein Körper bemächtigte sich wieder seines Geistes.
Oder war es umgekehrt?
»Verdammt, verdammt, was war das?«, murmelte Shane vor sich hin und strich seine Haare durch die verschwitzte Stirn. »Ich pack das nicht!«
So muss es sich anfühlen, wenn man aus einem Schock heraus zum Autisten wird, dachte Shane. In diesem elenden Zustand hätte ihn kaum jemand wiedererkannt, denn seine äußere Erscheinung glich eher der eines Hünen. Seine große Gestalt überragte alles, seine Augen, eng beieinander, verliehen seinem Gesicht den Ausdruck eines Adlers, und seine Hände waren durch die Arbeit breit und grob geworden, so dass man ihnen die Heilkunst nicht ansah. Insgesamt hätte man ihn eher als einen Landwirt oder Bauarbeiter eingeordnet, der nach getaner Arbeit seine Zeit gern in einem Wirtshaus verbrachte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass Adam Shane, Sohn eines österreichischen Hufschmieds irischer Herkunft, ein sanfter Heiler, ein Wünschelrutengänger und Kräuterexperte war. Seit Jahren wurde er von Menschen aufgesucht, die in der modernen Medizin keine Hoffnung mehr fanden. Seine Widersacher sahen in ihm natürlich einen Scharlatan, aber seine Erfolge sprachen für sich.
Entdeckt hatte er seine Gabe, als seine Frau an Krebs erkrankt war und sich weigerte, die üblichen, oft qualvollen Therapien über sich ergehen zu lassen.
Tatsächlich hatte er ihr helfen können. Doch seine besondere Sensibilität schien zugleich auch sein Verhängnis. War dieser Traum die Quittung für seine verzweifelte Suche nach einer Erklärung, warum die Menschen das zerstörten, was sie eigentlich nährte? Seit seiner Jugend gab es diesen Drang, Antworten zu finden, eine Erklärung für seine Traurigkeit und das Gefühl der Sinnlosigkeit zu entdecken. Während seine Schulfreunde ihre Zeit mit Sport, Motorrädern, Musik oder Strategien für die erste Liebesnacht verbrachten, sorgte er sich um die Welt und wie man sie retten könnte. Fast schon manisch hatte er mit vierzehn Jahren Bücher gelesen, die andere bestenfalls im Studium in die Hand bekamen, und sich in seinen Fragen und Gedanken vergraben. So war er die meiste Zeit von einer melancholischen Einsamkeit umgeben. Die Enge des Dorfes, in dem er aufwuchs und in dem kaum jemand seine Neugier, sein Talent, aber auch seine Rastlosigkeit erkannte, war eine zusät