: Miriam Zimmer, Matthias Sellmann, Barbara Hucht
: Netzwerke in pastoralen Räumen Wissenschaftliche Analysen - Fallstudien - Praktische Relevanz
: Echter Verlag
: 9783429063313
: 1
: CHF 23.30
:
: Praktische Theologie
: German
: 250
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie gestalten kirchliche AkteurInnen ihre Beziehungen in pastoralen Räumen? Welche Strukturen entstehen, und wie lassen sich diese zielorientiert modellieren? PlanerInnen und SeelsorgerInnen stehen vor der Frage, wie pastorale Nähe in vergrößerten pastoralen Räumen sichergestellt werden kann. Dieser Band präsentiert Ergebnisse des Forschungsprojektes 'Denken in Netzwerkdynamiken' des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (ZAP) in Kooperation mit dem Erzbistum Paderborn. Die Idee: Pastorale Räume können als Netzwerke konzipiert und modelliert werden. Als eines der ersten Bücher zum Thema geht es über einen metaphorischen Gebrauch des Netzwerkbegriffes hinaus: Es stellt ein konkretes Konzept sozialer Netzwerke für soziologische und pastoraltheologische Forschung und Praxis vor. Eine empirische Fallstudie analysiert reale Netzwerkstrukturen und -prozesse. Für kirchliche Netzwerkarbeit werden durch Moderations-, Rollen- und Kompetenzförderungsmodelle praktische Ansätze entwickelt.

Miriam Zimmer, M.A. ist Religionssoziologin und leitet am Zentrum für angewandte Pastoralforschung das Kooperationsprojekt mit dem Erzbistum Paderborn 'Denken und Handeln in Netzwerkdynamiken als Steuerungsmodell großer Pastoraler Räume'.

Miriam Zimmer

Netzwerkforschung und Pastoraltheologie

Eine Diskursanalyse aus Sicht der Soziologie

EINLEITUNG

Der Netzwerkbegriff, der in der kirchlichen Konzeptarbeit und pastoraltheologischen Auseinandersetzung zunehmend herangezogen wird, bezieht sich, wenn auch lose, immer wieder auf die soziologische Netzwerktheorie. Deren Ursprünge sind wiederum fast so alt wie das Fach Soziologie selbst und entspringen einer intensiven Debatte um ihren eigentlichen Gegenstand, ihre Theorien und folgerichtig auch ihre Methoden. Heute ist die Netzwerksoziologie eine der etablierten Strömungen der Soziologie, die in ihrer Geschichte immer wieder methodische Weiterentwicklungen und theoretischeturns erlebt hat.

Um die theologischen Referenzen adäquat einordnen und die pastoralplanerischen Anliegen verstehen und bewerten zu können, bedarf es zumindest einer überblicksartigen Darstellung der netzwerksoziologischen Entwicklungen. So können am Ende dieses Textes eine Bewertung bisheriger „theologischer Netzwerkbegriffe“ und ein „produktiver Ausblick“ auf den zukünftigen Umgang mit Netzwerkkonzepten erfolgen.

Dieses Kapitel dient somit zunächst vor allem dazu, ein theoretisches Fundament, einencommon ground, zu schaffen, auf dessen begrifflicher Konkretion theologische und kirchensoziologische Debatten, pastoralplanerische Konzepte und Evaluationsinstrumente auftauen können. Des Weiteren stellt sich dieses Kapitel auch der Herausforderung, zwischen den jeweiligen Fachsprachen – der pastoraltheologischen und der soziologischen – zu übersetzen, um die in der Einleitung erwähnte Kluft zwischen den beiden Fachtraditionen zu überwinden und somit an die Debatten beider Fächer anschließen zu können.

Im Folgenden wird zunächst die Genese der Netzwerksoziologie als theoretisches und methodisches Konzept nachgezeichnet. Anschließend werden die bisherigen Anwendungen der Netzwerkperspektive in der Kirchensoziologie und Pastoraltheologie dargestellt. Am Schluss soll eine Beurteilung über die Adäquatheit des Netzwerkkonzepts in der aktuellen Kirchensoziologie und Pastoraltheologie stehen.

DIE URSPRÜNGE DER SOZIOLOGISCHEN NETZWERKANALYSE

Die Begründung der Netzwerktheorie und -analysepraxis ist ein Gemeinschaftswerk. Die heutige Netzwerkforschung stammt aus der Zusammenführung paralleler, unterschiedlichen Fachtraditionen entspringender Entwicklungen vornehmlich in Deutschland und im angelsächsischen Raum. In Deutschland können wir Grundlagen der Netzwerktheorie in der Begründungsdebatte um die Soziologie als neue Fachdisziplin zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden, während in Großbritannien und den USA die Netzwerkperspektive in der Psychotherapie und Anthropologie eher aus instrumentellem Interesse vorangetrieben wurde.

2.1 DEUTSCHLAND

Georg Simmel wird mit seiner Gegenstandsbestimmung der Soziologie (1908) als Begründer der relationalen Soziologie und theoretischer Ideengeber der Netzwerkanalyse betrachtet. Er beschreibt die Herausforderungen der damals neu zu begründenden Disziplin Soziologie in einem Dreischritt.

Simmel postuliert zunächst, dass Soziologie sich als Wissenschaft, welche die Gesellschaft zum Gegenstand hat, mit deren Konstitution und Formen beschäftigen muss. Diese Formen sind allerdings neben den vergesellschafteten Individuen vor allem die Wechselwirkungen zwischen ihnen.1 Somit ist Gesellschaft bei Simmel „einmal der Komplex vergesellschafteter Individuen, das gesellschaftlich geformte Menschenmaterial […]. Dann aber ist ‚Gesellschaft‘ auch die Summe jener Beziehungsformen, vermöge dere