: Daniel Bertram
: Fehl- und totgeborene Kinder Die Würde des vorgeburtlichen Menschen in der Wahrnehmung der Eltern und im ethischen Diskurs
: Echter Verlag
: 9783429062873
: 1
: CHF 18.60
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: Christentum
: German
: 234
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Seit 1988 haben sich wiederholt von einer Fehl- oder Totgeburt betroffene Eltern mit Petitionen an den Gesetzgeber gewandt, um die Rechte der verstorbenen Kinder und ihre Rechte als Eltern zu stärken. Sie haben vor dem Hintergrund ihrer eigenen unmittelbaren und tiefen Erfahrung aktiv am Diskurs über fehl- und totgeborene Kinder partizipiert. Die vorliegende Arbeit reflektiert die Relevanz dieses Diskurses. Dabei wird eine Konvergenz zwischen vorreflexivem Erleben der Eltern und systematischer Argumentation beschrieben. Stets im Mittelpunkt der Studie steht die Frage nach der Anerkennung einerseits des vorgeburtlichen Menschen, auch und im Besonderen im Fall seines pränatalen Todes sowie andererseits des Verlusts der verwaisten Eltern und der Trauer der Betroffenen.

Daniel Bertram, geboren 1991, M. Theol., studierte von 2008 bis 2013 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Er ist verheiratet, lebt in Berlingerode (Eichsfeld) und ist in der Kommunalpolitik tätig.

EINLEITUNG

Thema und Untersuchungsgang

Das1 Thema der vorliegenden Arbeit ist die Relevanz des Diskurses2 über fehl- und totgeborene Kinder in Deutschland. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage nach der Anerkennung einerseits des vorgeburtlichen Menschen, auch und im Besonderen im Fall seines pränatalen Todes, andererseits des Verlusts und der Trauer der betroffenen, verwaisten Eltern.

Die durch die Zeugung entstandene unauslöschliche Beziehung und die Bindung zwischen den Eltern und dem Kind, die sich während der Schwangerschaft entwickelt und gefüllt ist mit unterschiedlichen Emotionen, hinterlassen in einem gewissen Sinne eine bleibende, existenzielle Spur. Medizinische Möglichkeiten und rechtliche Rahmenbedingungen lassen den Eltern jedoch einen Handlungsspielraum hinsichtlich des Umgangs mit dem eigenen, ungeborenen Kind. So können sie dieses als „noch nicht wirklich existent“ verstehen, also noch ins Vorläufige und Unwirkliche drängen, nicht als Kind ansehen, letztlich vielleicht sogar abweisen; oder seine Existenz bejahen, das Kind als ihr Kind behandeln und annehmen. In jedem Fall werden sie aber eben auch schon vor der Geburt von diesem Kind beansprucht. Ja, sie können diese Beanspruchung gegenüber der Gesellschaft sichtbar werden lassen und sie zur Geltung bringen, schon bevor von gesellschaftlichen Institutionen zuvor festgelegte juristische und personenstandsrechtliche Kategorien erreicht und wirksam werden.

Genau diese Spannung im Blick auf die Wahrnehmung des vorgeburtlichen Menschen, die lebensweltliche Intuition in Bezug auf seine Bedeutung und die damit verbundene ethisch belangvolle Geltendmachung seiner Würde soll in dieser Arbeit beschrieben werden. Und an dieser Stelle wird bereits deutlich, dass zwei Beziehungskontexte für den Diskurs Relevanz besitzen: die Beziehung zwischen den Eltern und dem ungeborenen Kind einerseits, sowie zwischen dem Kind, auch schon in den frühsten Phasen seines Lebens, und der Gesellschaft.

Schon im Kontext der sozialistischen Gesellschaft der DDR finden sich Hinweise darauf, dass dieses gesellschaftliche Sein des vorgeburtlichen Menschen im Kontext des Nachdenkens über die „ethischen“ bzw. vielmehr die „sozialistischen“ Grundlagen der Ehrfurcht vor der Leibesfrucht mitgedacht wurde. Aber auch in den bis in die Gegenwart reichenden Diskussionen innerhalb der Gesellschaft der Bundesrepublik verdeutlich sich diese Relation als – und das ist für diese Untersuchung von besonderem Gewicht – offensichtlich notwendigerweise von sich selbst her bestehend. Sie lässt sich dabei offenbar nicht bloß auf eine biologische Realität zurückführen, sondern rekurriert auf die existenzielle Autonomie des Kindes, die wohl mit seiner physischen Existenz gegeben und untrennbar verbunden ist. Jedenfalls ist es im Sinne der hier vorgelegten Analyse genau diese Autonomie, auf die sich die Eltern der Kinder beziehen und die sie letztlich auch einklagen können wollen, um sich gegen gesellschaftliche Interessen, geburtsurkundliche Definitionsmacht, ärztliche Verfügungen, personenstandsrechtliche Abgrenzung, wissenschaftliche Forschungsinteressen usw. zu „verteidigen“.

In der Konsequenz bedeutet diese Autonomie – das versucht die hier unternommene Forschung zu zeigen – aber, dass die Gesellschaft in die Pflicht genommen werden kann, sogar wenn Eltern sich, wie bereits angedeutet, nicht für ihr Kind interessieren und es darum geht, dieses Kind bei seinem Tod in irgendeiner Form menschenwürdig zu bestatten und materiell dafür einzustehen.

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