All you need is loveMarkus Brock
In meinem vierten Lebensjahr zogen wir nach Rüppurr. Kaum waren wir hier, trennten sich meine Eltern. Als ich 14 war, starb meine Mutter an einem Gehirntumor, und so kommt es, dass ich meine Kindheitserinnerungen mit niemanden mehr teilen kann, vor allem nicht die Erinnerung an die Jahre vor ihrem Tod. Mein Vater kam dann mit meiner Stiefmutter zu mir nach Karlsruhe, damit ich nicht aus meiner gewohnten Umgebung gerissen wurde. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar. Aber meine Kindheit war mit dem Tod meiner Mutter eigentlich vorbei – weshalb ich von den Jahren davor erzählen will.
Zuerst wohnten wir in der Frauenalber und später in der Spessarter Straße, wo ich – auch als Scheidungskind – eine glückliche Kindheit verbrachte. Meine Mutter war immer für mich da, gab mir unendlich viel Liebe. Ein Urvertrauen, von dem ich heute noch zehre. Aber auch mein Vater besuchte mich regelmäßig von München aus, wo er inzwischen wohnte.
Hier in Karlsruhe begegnete ich aber auch anderen Menschen, die mir so liebevoll entgegenkamen, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe. Schwester Ursula zum Beispiel vom katholischen Kindergarten – Schwester Ursula mit ihren roten Haaren. Dass ich evangelisch war, spielte für die Schwestern keine Rolle. Oder meine Grundschullehrerin, Frau Wentz, die meine ersten Jahre in der Riedschule begleitete. Als ich sie nach Jahren einmal in der Stadt traf, umarmte sie mich so herzlich wie früher, und ich wunderte mich, wie klein sie war.
Bilder fallen mir ein. Ich sehe mich noch als kleinen Jungen mit Gummistiefeln und abwaschbaren Klamotten durch die Alb waten, über schlammige Äcker springen, im Wald bei den sieben Hügeln in der Nähe der Aussiedlerhöfe toben, spielen, Hütten bauen und natürlich mit meinen Freunden auf dem Spielplatz. Da haben wir uns eigentlich jeden Tag getroffen. Haben Tischtennis, Fußball, Hockey oder „Räuber und Gendarm“ gespielt. Das war meine Welt, und sobald ich nach Schulschluss gegessen und meine Hausaufgaben gemacht hatte, zog es mich nach draußen, bis es dunkel wurde. Bei Wind und Wetter waren wir im Freien und wenn ich heim kam, war meine Mutter da, setzte mich in die Badenwanne und machte Abendbrot. Genau so war’s. Auch wenn ich mal nicht völlig verdreckt war!
Sie wollte keinen neuen Partner, und so sprach sie mit mir über alles, was sie bewegte und was in der Welt vor sich ging. So begann auch ich schon früh, mich für alles, was so passierte, zu interessieren.
Am Wochenende hatten wir beide unser festes Ritual. Jeden Samstag gingen wir zusammen in die Stadt. Und jedes Mal ging es zum Spielwarengeschäft Döring. Denn dort gab es alles für meine hölzerne Wildwest-Stadt. Jedes Mal durfte ich mir dann eine neue Cowboy- oder Indianerfigur aussuchen. Nicht mal eine Mark hat das damals gekostet. Dann wurden gemeinsam andere Besorgungen erledigt. Oft auch Kleidung für sie oder mich. Ich bei „Hergard“, meine Mutter in der schicken „Rodier“-Boutique. Vielleicht gehe ich deshalb heute noch – ganz untypisch für Männer – gerne mit meiner Tochter Kleider kaufen. Anschließend ging’s dann in die Pizzeria „Como Lario“ in der Kaiserstraße. Der Besitzer der Pizzeria war ein sehr netter Spanier. Einmal schenkte er mir eine Gourde, eine spanische Trinkflasche aus Leder. Meine Mutter bestellte sich immer eine Pizza oder Pasta mit einem kleinen Glas Rotwein, für mich gab es Pizza und Cola oder Fanta. Dann steckte ich eine Mark in die Musikbox und drückte drei Beatles-Songs. Vor allem ihr Lieblingslied: All you need is love, love, love is all you need ...
Auch heute noch brauche ich Rituale, sicher auch, weil mein Berufsleben so unstet ist. Schon als Kind war ich ein eifriger Freibadbesucher, und noch immer liebe ich das Rüppurrer Freibad, wo ich i