: Helmut Brandstätter
: Letzter Weckruf für Europa
: Verlag Kremayr& Scheriau
: 9783218012201
: 1
: CHF 15.20
:
: Politik
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mitte März 2020. Der Höhepunkt der Corona-Krise ist noch nicht erreicht, da gibt es für viele schon einen Schuldigen: die Europäische Union. Obwohl diese kaum gesundheitliche Kompetenzen hat, bedienen nationale Regierungschefs der radikalen rechten Lager Ressentiments gegen die EU. Das Virus trifft Europa in einer schwierigen Lage: Im Handelskrieg zwischen den USA und China schaut die EU hilflos zu, muss aber unter den Auswirkungen leiden. Für Donald Trump ist Europa kein Partner mehr, sondern ein Konkurrent auf dem Weltmarkt. Präsident Macron hält die NATO für 'hirntot', im Nahen Osten ist die EU ein Beobachter und in ehemaligen Ostblock-Staaten wie Ungarn und Polen entstehen autoritäre Regime, die mit den Werten der EU nichts mehr zu tun haben wollen. Der Streit um das künftige Budget der EU eskaliert: Corona-Bonds, also gemeinsame Schulden, wollen die Südländer; Österreich und andere lehnen das ab. So mahnt uns das Virus, das friedliche Europa zu erhalten - auch um zu verhindern, dass in einer zerfallenden EU historische Konflikte aufbrechen.

Helmut Brandstätter, geboren 1955, Dr. jur. an der Universität Wien, dann Post-Graduate-Studium an der Johns-Hopkins-University in Bologna, 1982-1997 beim ORF in Wien, Bonn und Brüssel als Redakteur, Korrespondent, Hauptabteilungsleiter Politik und Zeitgeschehen und Moderator REPORT, 1997-2003 Chefredakteur und Geschäftsführer n-tv, Berlin, 2003-2005 Mitgründer und Geschäftsführer PulsTV. 2005-2010 Eigentümer einer Beratungs- und Kommunikationsagentur. 2010-2018 Chefredakteur, 2013-2019 Herausgeber des KURIER. Seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS.

KAPITEL 1


IDENTITÄT


AUF DER SUCHE NACH DER EUROPÄISCHEN IDENTITÄT


„Es geht Deutschland auf Dauer nur gut,

wenn es Europa gut geht.“

Angela Merkel, 2020

Diesen Satz hat Angela Merkel Anfang April 2020, auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, gesagt. Er war die knappe Antwort auf die Frage, ob und wie die reicheren Länder der Europäischen Union den ärmeren beim Aufarbeiten der Wirtschaftskrise helfen würden. Die Langzeitkanzlerin ließ keinen Zweifel daran, dass das Schicksal der Deutschen eng mit dem aller anderen Europäer verbunden ist, ja die Deutschen sogar vom Wohlergehen der anderen europäischen Staaten abhängig sind. Ihre Aussage klang wie ein Appell an die eigene Bevölkerung, jetzt nicht nur an Deutschland zu denken, sondern auch an diejenigen Länder, für die der Weg aus der beginnenden Rezession noch mühsamer werden würde. Der Satz steht auch symbolisch als Antwort auf die schon während der Krise gestellte Frage, ob die EU im Angesicht der großen Herausforderungen eher zusammenwachsen würde oder ob einige nationale „Führer“ die Chance nützen würden, sich und ihre jeweilige Regierung zu stärken und aus der EU wieder eine lose Wirtschaftsgemeinschaft ohne gegenseitige Verantwortung zu machen. Und schließlich wusste Angela Merkel, dass ihre Ansprache nicht irgendeine Sonntagsrede zu Europa sein konnte, weil die anderen Mitgliedstaaten der EU sehr genau darauf achten würden, was und wie viel die Deutschen zum Wohlergehen aller Europäer beizutragen bereit sein würden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat noch während der Krise geschrieben: „Unsere Europäische Union – davon bin ich überzeugt – kann aus dieser Situation gestärkt hervorgehen, so, wie sie es nach jeder Krise in unserer Geschichte getan hat.“ Ein interessanter Hinweis, der Mut machen sollte, und ein realistischer noch dazu. Die EU hat wahrlich bereits einige bewegte Jahrzehnte hinter sich. Jean-Claude Juncker, der in über 30 Jahren in der Politik, vor allem als luxemburgischer Premierminister und als Präsident der EU-Kommission, viele pol