Prolog, in dem schließlich doch noch etwas geschieht
»Entschuldigen Sie, Miss, aber passiert hier eigentlich auch mal irgendwas?«
Als die fremde Stimme ertönte, schreckte Nathalie Ames hoch. Sie hob den Kopf und entdeckte ein jüngeres Paar, das vor dem Tisch stand. Es war ein wunderschöner Montagnachmittag im Oktober. Die Sonne sorgte noch für wohlige Wärme, der Himmel war strahlend blau. Lediglich die kahlen Laubbäume am Rand der Terrasse ihres Cafés und das braune und rötliche Laub auf dem Rasen verrieten, dass der Herbst unerbittlich näher rückte.
Die beiden waren schätzungsweise Ende zwanzig, modisch gekleidet – und sie fühlten sich sichtlich gelangweilt. Er hatte einen dieser modernen Vollbärte, der zwar so kunstvoll geschnitten war, dass es dank der schwarzen Haare so aussah, als hätte er sich ein Brikett ans Kinn geklebt, aber Nathalie konnte diesem Trend rein gar nichts abgewinnen. Die Frau hatte eine kuriose Frisur, die sich mit ihrem Wirrwarr aus kurz und lang, gelockt und glatt, gefärbt und gebleicht jeder genaueren Beschreibung entzog. Die Kleidung der beiden war für ein Dorf wie Earlsraven viel zu chic.
Unwillkürlich fühlte sich Nathalie an ihren ersten Tag in Earlsraven erinnert, als sie hergekommen war, um den von ihrer Tante geerbten Pub Black Feather in Augenschein zu nehmen und zu überlegen, ob sie ein solches Erbe antreten sollte. Wie lange war das her? Zweieinhalb, drei Jahre? Ja, das passte in etwa. Niemals hätte sie sich da vorstellen können, ihre Geburtsstadt Liverpool zu verlassen und hier mitten im Nichts sesshaft zu werden. Und dennoch war es so gekommen. Sie hatte das Black Feather übernommen und hier viele neue Freunde gefunden, für die der Begriff »Freundschaft« noch einen anderen Stellenwert besaß als in der Hektik der Großstadt.
»Was genau meinen Sie damit, dass hier was passieren soll?«, entgegnete sie freundlich.
»Na ja, irgendwas Aufregendes«, ergänzte die Frau.
»Die wöchentliche Getränkelieferung kann manchmal ziemlich aufregend sein«, meinte Nathalie schmunzelnd. »Man weiß nie, ob so viele Fässer und Flaschen kommen, wie man bestellt hat.« Die Ironie ihrer Worte prallte an dem Pärchen ab, wie die ausdruckslosen Mienen deutlich erkennen ließen. »Oder dachten Sie dabei an etwas anderes?«, hakte sie nach.
»Also, meine Großmutter hat meiner Mutter erzählt, dass hier ständig Leute umgebracht und dauernd irgendwelche Verbrechen begangen werden«, sagte der junge Mann und schaute sich um. »Sollte man gar nicht meinen.«
Nathalie seufzte leise und konnte sich nicht verkneifen zu kommentieren: »Ach so. Na ja, wenn Sie Mordopfer sehen wollen, dann sollten Sie besser an einem Freitagmorgen herkommen. Die werden nämlich auf dem Dorfplatz gelagert und jeden Samstag gesammelt abgeholt.«
Der Mann stutzte, aber ehe er etwas erwidern konnte, stieß ihm die Frau mit dem Ellbogen in die Seite.
»Das war ein Witz, Thomas«, zischte sie ihm zu, dann lächelte sie Nathalie ein wenig verlegen an.
»Wer ist denn Ihre Großmutter?«, fragte Nathalie schnell, um den für ihn peinlichen Moment zu überspielen. »Ich müsste sie eigentlich kennen.«
»Margaret MacColl heißt sie«, antwortete der Mann.
Prompt musste Nathalie lachen. »Ja, Mrs MacColl«, sagte sie. »Auf jeden Kuchen und jede Torte hat sie immer eine Prise Zimt haben wollen. So was bleibt im Gedächtnis. Wie geht es ihr denn im Seniorenheim?«
»Bis aufs Hören gut, doch das wäre auch kein Problem, wenn sie nicht immer wieder ihr Hörgerät ›vergessen‹ würde«, entgegnete er.
»Ja, das Spiel kenne ich noch von meiner Großmutter«, musste sie ihm zustimmen. »Und Mrs MacColl hat Ihnen gesagt, dass hier immer irgendwas passiert?«
»Oh ja, sie hat uns von explodierenden Häusern erzählt, von Auftragskillern, von falschen Privatdetektiven«, listete der Mann auf. »Es hörte sich so an, als wäre hier immer was los.«
Nathalie lächelte das Paar bedauernd an. »›Immer‹ ist ein wenig übertrieben, wenn ich das so sagen darf. Hin und wieder passiert tatsächlich etwas,