2. Eine Kirche, die von Jesus her Antwort gibt
In diesem Kapitel versuche ich meinen Traum in Berührung zu bringen mit vier aktuellen Herausforderungen des westlichen Kulturkreises. Alle vier kreisen um das Spannungsfeld zwischen exzessivem Wohlstand und dem damit einhergehenden Glücksanspruch einerseits und dem menschlichen Leiden andererseits. Kirche darf hier nicht mutlos schweigen. Sie hat mit Jesus ein ausgezeichnetes Vorbild, um auf jede dieser Herausforderungen zu antworten.
2.1. Mystik statt eine beliebig gewordene Spiritualität
Eine erste Herausforderung kommt uns heute entgegen in einer Spannung zwischen religiöser Vielfalt oder spiritueller Beliebigkeit einerseits und einer tiefen Sehnsucht andererseits. Die Sehnsucht ist im Letzten religiöser Art und doch als solche schwer einzufangen. Meist unerkannt, ist sie irgendwie »da«, erkennbar darin, dass etwas im Menschen wie nicht abgeholt ist.
Spiritualität ist im Trend, immer noch. In Diskussionen geht es aber oft gar nicht mehr um Gott oder das Heilige, sondern – am Numinosen und Letztlichen vorbei – um eine Atmosphäre des Wohlbefindens bis hin zum Wellness-Kult. Im Kontext von Palliative Care beispielsweise wird Spiritualität bisweilen gar als »Familiesein«6 definiert, um ja nicht Worte wie Transzendenz oder Gott verwenden zu müssen.
Spiritualität war demgegenüber ursprünglich Begriff für die Erfahrung mit dem unmittelbaren Gott (griechisch: pneumatikos, lateinisch: spiritualis). Inzwischen findet man das Wort häufig als Ersatzbegriff für das Religiöse. Derart beliebig interpretiert, driftet Spiritualität aber oft an der tieferen Sehnsucht des Menschen vorbei. Gibt es diese überhaupt? Sehnsucht nach einem Sein-dürfen anderer Art?
Etwas von dieser Sehnsucht, nämlich jene nach Entgrenzung, spüre ich in der heutigen Eventflut. Doch wem gilt da unsere Verehrung, unser »Lobpreis«? Ein anderer Aspekt, die Sehnsucht nach Verbunden-sein, kommt mir entgegen in der Handykultur der Jungen. Und auch dort, wo Erwachsene den Jungen nacheifern. Das Handy steht für »Verbindung schlechthin«: Ich bin online, am Netz, mit dabei. Hier ist Sehnsucht längst zur Sucht geworden. Keiner ahnt mehr, wonach er sich im Eigentlichen seiner selbst sehnt. Das Phänomen Sehnsucht hat zu tun mit der Suche nach etwas Verlorenem, wovon ich doch entfernt irgendwie »weiß«. Süchtig suchend bin ich dort, wo mir emotional etwas fehlt.
Es ist Bekenntnis und doch vielfältige Erfahrung, dass uns im Tiefsten etwas Zentrales verloren ging: eine andere Welt, das Himmelreich, Gott in seiner Unmittelbarkeit und damit verbunden unsere eigene Wesensmitte (vgl. Kap. 2.4). Der Durst gilt tatsächlich einer Connectedness, um das englische Wort einzuführen, das treffender ist als das deutsche Wort Verbunden-sein. Sehnsucht wäre per se eine tief religiöse Kategorie. Technisch ausgedrückt, ist uns irgendwann das Angeschlossen-sein ans Netz des Göttlichen entschwunden. Das Netz oder das Himmelreich wäre stets da, doch der Mensch hat irgendwann, irgendwie den Stecker herausgezogen. Unbemerkt hat er sich von Gott, vom Ganzen abgekoppelt. Wann, wieso?
Dies ist zunächst nicht Frage von Sch