1. KAPITEL
Die dankbare Mutter zog mit ihrem hysterischen Geschrei die Aufmerksamkeit der Touristen, Einkäufer und Anwohner in der belebten New Yorker Hauptverkehrsstraße auf sich. Eine große Menschenmenge versammelte sich an diesem sonnigen Spätnachmittag und hörte zu, wie sie unter Tränen dem Mann dankte, der ihren kleinen Liebling vor einem Unfall bewahrt und ihm so das Leben gerettet hatte.
Der „kleine Liebling“, wollte sich allerdings keinesfalls so bezeichnen lassen. Trotzig wies er darauf hin, dass er schon fast fünf Jahre alt war. Dann trat er seinem Retter heftig gegen das Schienbein.
Lucas Lächeln gefror. Als das kreischende kleine Ungeheuer auch noch versuchte, ihn zu beißen, fragte er sich, was an Kindern eigentlich so toll sein sollte. Im Grunde mochte er sie ja. Und natürlich würden seine eigenen Sprösslinge niemals jemanden beißen. Doch er verspürte keinen sonderlich starken Drang, eine Familie zu gründen. Trotz seines Rufs, sich nicht binden zu wollen, hatte er in mancher Hinsicht sehr traditionelle Ansichten: Für ihn gehörten Kinder und Ehe zusammen. Nur war er bisher noch keiner Frau begegnet, mit der er gern sein ganzes Leben verbracht hätte.
Lucas Mutter stammte aus Italien, sein Vater aus Irland. Seine Eltern hatten nie einen Zweifel daran gelassen, dass es eine seiner Hauptpflichten war, eine Ehefrau zu finden und für Nachkommen zu sorgen. Aber er wollte sich nicht unter Druck setzen lassen. Dass er inzwischen über dreißig Jahre alt war und noch immer keine entsprechenden Anstalten machte, gefiel seiner Familie gar nicht.
Wann immer er auf sein Junggesellendasein angesprochen wurde, wies er darauf hin, dass sein älterer Bruder Roman ja einen Sohn und Erben bekommen könnte, um den Namen der Familie weiterzugeben. Als Erstgeborener war er dazu verpflichtet. Und schließlich war er schon zweiunddreißig.
Luca war bereit, die Rolle des liebevollen Onkels zu übernehmen. So müsste er nicht zu viele Kompromisse eingehen oder schlaflose Nächte in Kauf nehmen. Doch leider schien es keine geeigneten Kandidatinnen zu geben, die als Ehefrau für seinen Bruder infrage kämen. Bis auf seine allgegenwärtige und unglaublich loyale Assistentin Alice, dachte er ironisch. Sie würde ihren Chef bestimmt sofort heiraten, wenn die Gelegenheit sich bieten würde. Luca schüttelte ganz leicht den Kopf, als er sich ihre graublauen Augen und das silberblonde Haar in Erinnerung rief.
Offenbar trat ein grimmiger Ausdruck in seine Augen, denn der Junge warf ihm einen misstrauischen Blick zu und rannte zu seiner Mutter.
„Ich hasse dich!“, rief er aus sicherer Entfernung.
„Ich bin auch nicht gerade begeistert von dir“, erwiderte Luca, der in Gedanken ganz woanders war.
Roman würde doch nicht ernsthaft darüber nachdenken, seine blonde Sekretärin zu heiraten, oder? Er liebte sie zwar nicht, schien jedoch im Laufe der Jahre ein wenig zynisch geworden zu sein und nicht mehr an die Liebe zu glauben. Mangelnde Gefühle wären also kein Hindernis für ihn.
Wie desillusioniert sein Bruder war, hatte Luca vor Kurzem gemerkt. Beim Hochzeitstag ihrer Eltern hatte ihr Vater wieder einmal