1. KAPITEL
Finster betrachtete Sebastian Garcia die Fassade des über vierhundert Jahre alten Herrenhauses Troone Manor, und seine grauen Augen blitzten zugleich wütend und entschlossen. Eher würde er sich das Herz aus der Brust reißen, als dass er Irina Dysart das ausgedehnte Anwesen in die Hände fallen ließ, schwor er sich leidenschaftlich.
Zum ersten Mal sah er ohne Freude dem Besuch in dem schönen alten Haus entgegen, das ihm von seiner Kindheit an wie ein zweites Zuhause war.
Kalter Märzwind zauste ihm das schwarze Haar und erinnerte ihn daran, dass hier in England der Frühling noch nicht so weit gediehen war wie in Südspanien, wo er und seine Mutter lebten.
Sebastian nahm den Koffer vom Rücksitz seiner silbergrauen Limousine, dann ging er über die kreisförmige Auffahrt zur Eingangstür, wo die Haushälterin Madge Partridge ihn bereits lächelnd erwartete.
„Alles unter Kontrolle?“, erkundigte Sebastian sich kurz angebunden.
Madge verging das Lächeln, und sie wich bestürzt einen Schritt zurück.
Sebastian tadelte sich, weil er die Beherrschung verloren hatte, und rang sich ein Lächeln ab. Madge war keine seiner Angestellten – die er mit dem Hochziehen einer Braue zum Parieren veranlassen konnte –, sondern seine Freundin seit Kindertagen. Außerdem führte sie nur gewissenhaft aus, was sein Onkel Marcus Troone ihr aufgetragen hatte: das Haus für dessen zukünftige Frau herzurichten.
Marcus hatte ihn gebeten, in Troone Manor nach dem Rechten zu sehen, und er hatte widerstrebend zugestimmt. Wie sollte er seinem Onkel rechtzeitig klarmachen, wie Irina wirklich war? Dieses Problem machte ihn gereizt, aber er durfte seine schlechte Laune nicht an Madge auslassen.
„Tut mir leid, Madge, dass ich so schroff war“, entschuldigte Sebastian sich und zuckte die breiten Schultern. „Ich war die ganze Nacht mit dem Auto unterwegs und bin wahrscheinlich deshalb nicht in besonders guter Stimmung. Sei mir bitte nicht böse!“
„Natürlich bin ich das nicht.“ Madge legte ihm kurz die raue Hand auf die Wange und tadelte ihn liebevoll: „Und nimm ja kein Flugzeug nach London, und lass dich auch nicht von einem der Firmenchauffeure hierher bringen. Tu es bloß nicht, Sebastian.“
Amüsiert und zugleich liebevoll sah sie ihn an, als er an ihr vorbei in die große Halle mit den schweren Deckenbalken ging, wo im Kamin ein Feuer flackerte.
„Ich erinnere mich, wie du mit sechs Jahren zum ersten Mal ohne deine Eltern hier warst … Lieber Himmel, ist das tatsächlich schon dreiundzwanzig Jahre her? Jedenfalls bist du damals an einem Morgen aus dem Fenster und übers Spalier nach unten geklettert, statt die Treppe zu benutzen, um zum Frühstück zu kommen. Den Weg hast du offensichtlich spannender gefunden.“
Sebastian erinnerte sich auch noch genau an den Zwischenfall – und an die Standpauke, die seine Tante Lucia ihm daraufhin gehalten hatte. Beim Gedanken an seine Tante wurde ihm schwer ums Herz. Sie war die jüngere Schwester seines Vaters gewesen und hatte dessen damaligen Geschäftspartner Marcus Troone geheiratet. Er, Sebastian, hatte jeden Sommer mehrere Wochen bei ihnen in Troone Manor verbracht und diese Zeit stets genossen.
Zu ihrem Kummer hatten Lucia und Marcus keine Kinder bekommen, und als Sebastian ungefähr acht Jahre alt war, erkrankte seine lebensfrohe, liebevolle Tante Lucia an multipler Sklerose. Als er sie im folgenden Sommer besuchte, saß sie bereits im Rollstuhl, beinah so hilflos wie ein Baby. Zwei Jahre später war sie dann endlich von ihrem Leiden erlöst worden.
Jetzt wollte Marcus nochmals heiraten – ausgerechnet dieses geldgierige Luder Irina Dysart!
„Ich wusste nicht genau, wann du ankommst, Sebastian. Mittagessen gibt es jedenfalls erst in einer Stunde“, riss ihn Madge aus den trüben Gedanken. „Möchtest du eine Tasse Kaffee, bevor du dich frisch machst?“
Schnell verdrängte er den Zorn auf Irina und bejahte die Frage. Er stellte seinen Koffer auf den abgetretenen Steinplatten der Eingangshalle ab und folgte Madge in die behagliche Küche.
Im ganzen Haus roch es durchdringend nach frischer Farbe, und Sebastian schauderte. Wenn Irina hier das Sagen haben würde, wäre es mit der Behaglichkeit vorbei, die seiner Meinung nach das Wesen eines englischen Landsitzes ausmachte. Stattdessen würde sich überall teurer, schicker und aufwendiger Schnickschn