: Rumjana Zacharieva
: Maminkas Sommerküche
: Größenwahn Verlag
: 9783957712813
: 1
: CHF 13.40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 295
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Bulgarien 1962: Die zwölfjährige Mila verbringt ihre Sommerferien bei ihren Großeltern. Das Dorfleben erweist sich als ein großartiges Entdeckungsabenteuer: Familiengeheimnisse, Gebräuche, sexuelle Aufklärung und immer wieder die Angst des drohenden Kalten Krieges. Doch in Maminkas Sommerküche kocht man für jede Schwierigkeit ein passendes Rezept. Rumjana Zacharieva verfasst eine autobiographisch gefärbte Erzählung über Kindheit und Jugend im kommunistischen Bulgarien. Zum 70. Geburtstag der Schriftstellerin die Neuauflage ihres bis jetzt wichtigsten Werks. 'Beeindruckend' WDR 'Eine Kindheit zwischen Idylle und Schrecken' Neue Züricher Zeitung

Rumjana Zacharieva (geb. 1950 in Baltschik/Bulgarien) ist eine deutsche Schriftstellerin bulgarischer Herkunft. Sie schrieb mit 11 Jahren Gedichte und publizierte mit 13 in der überregionalen bulgarischen Presse. Nach dem englischsprachigen Gymnasium in Russe (ehem. Rustschuk - 'die Stadt der geretteten Zunge') übersiedelte sie in die BRD. Im Studienkolleg der Universität Bonn lernte sie ein Jahr lang Deutsch, studierte Anglistik und Slawistik (1977 M.A.). Seit 1975 veröffentlicht Rumjana Zacharieva literarische Texte in deutscher Sprache: Romane ('7 Kilo Zeit', 'Bärenfell', 'Transitvisum fürs Leben'), satirisch-erotische Kurzgeschichten, Gedichte ('Geschlossene Kurve', 'Am Grund der Zeit', 'Traumwechselstörung'), schrieb Hörspiele und Features für WDR 3 und WDR 5, DLF/DR u.a. Sie übersetzte aus dem Bulgarischen und aus dem Deutschen. Rumjana Zacharieva war die erste nichtmuttersprachliche Autorin, die den Förderpreis für Literatur des Landes NRW erhielt (1979) sowie den Literaturpreis der Bonner LESE (1999). Stipendiatin der Kunststiftung NRW.

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Sommer. Ferien. Im Radio der Kalte Krieg. Mir gelingt es nicht zu verschlafen: Seit fünf Uhr früh dröhnt der Lautsprecher auf dem Dorfplatz Volkslieder, Meldungen der Volksfront, der Weltpolitik, der Kooperative. Und immer wieder heißt es: »der Kalte Krieg«. Neulich sogar, »Der Kalte Krieg ist in seine entscheidende Phase getreten.«

Wie alt ich bin? Zehn oder zwölf.

Ich sehe mich in Maminkas Bett mit dem geschnitzten Adler überm Kopf und einem Adler mit weniger pedantisch geschnitzten Federn am Fußende des Bettes liegen. Der Tag sendet seine Zeichen an mein Ohr: Das Krähen der Hähne im Schatten der Nussbäume, das Gurren der Tauben unterm Fenster, die Stimmen der Frauen, die sich unter der Weide am Dorfplatz versammeln. Gleich werden sie mit Pferdekarren oder Lastwagen aufs Feld gefahren.

»Kalter Krieg«. Die raunende Stimme der Sprechanlage will mir dauernd etwas mitteilen, das ich nicht verstehe. Wörter wie »Kapitalisten«, »Faschisten« und immer wieder »Kommunisten« bohren sich in meinen Schädel. Dann die Pfeife der Tante Mita, die ihre einzige Milchkuh zum Grasen treibt. Und die Gerüche: Palatschinkenduft, gebrannter Zucker, nasser Staub von der Straße. Die Sprechanlage redet sich in Rage. Dieser Kalte Krieg muss nahe sein. Ich frage mich nur, wie nahe.

Der Palatschinkenduft jagt mich aus dem Bett. Ich schaue durch das Fenster: Getümmel. Der Bus aus der Stadt ist soeben angekommen, die Frauen der Siebten Brigade, die immer noch nicht abgeholt worden sind, gestikulieren, als würden sie einander anschreien. Die Herde der Kooperative, die zum Grasen geführt wird, überflutet den Dorfplatz mit ihren braunen Leibern – eine Szene wie im Krieg. Großmutter hat meine Fantasie