Kapitel 1
Mit einer dampfenden Kaffeetasse in der Hand saß Liane auf dem Rand der viel zu klein geratenen Badewanne ihrer viel zu klein geratenen Zweizimmerwohnung. Keineswegs zu klein war hingegen der riesige Spiegel über dem Waschtisch, in dem sie vom Wannenrand aus ihre zerzausten Haare betrachtete.
Kaum etwas in ihrem Leben hatte sich seit der angestrebten Festanstellung verbessert. Die Verantwortung war größer, die Arbeitszeiten waren anspruchsvoller geworden. Zumindest war ihr Job bedeutungsvoll. Selbst an den ruhigen Tagen gab es genügend wichtige Dinge zu tun. Kein Mensch würde jemals am Stellenwert ihrer Arbeit im Operationssaal zweifeln.
Ihr Spiegelbild rang sich ein Lächeln ab, als sie „The show must go on“ murmelte und dabei zum Stehen kam. Mit drei großen Schlucken war die Tasse geleert und Liane war bereit, ihre dunkelblonde Mähne in einem ordentlichen Zopf zu bändigen. Routiniert zog sie sich einen dünnen Lidstrich und tuschte ihre Wimpern. Mit der Zahnbürste im Mund ging sie ins Schlafzimmer, zog sich eine Jeans über und griff nach einem übergroßen Baumwollpullover.
Zwanzig Minuten später hastete sie bereits durch das halbdunkle Treppenhaus in Richtung Tiefgarage. Für die durchaus beachtlichen Mietpreise hätte man erwarten können, dass die Hausverwaltung die Treppenhausbeleuchtung in Stand hielt. Stattdessen musste schon seit Wochen die dürftige Notbeleuchtung ausreichen, um einem Genickbruch auf dem Arbeitsweg zu entgehen. Unten angekommen, verlangsamten sich ihre Schritte kurz vor der Garagentür, als sie plötzlich ein ungutes Gefühl überkam. Ein Kribbeln im Nacken, das sie aus ihrer Kindheit kannte. Zögernd öffnete sie die schwere Brandschutztür, schlupfte hindurch und ließ sie dicht an ihrem Rücken ins Schloss fallen. Angelehnt wartete sie, dass die klirrenden Neonröhren die Parkgarage erhellten. Das gesamte Kellergeschoss verband drei große Wohnkomplexe und die Tiefgarage verteilte sich auf zwei Stockwerke, trotzdem war die Garage zur Frühdienstzeit immer wie ausgestorben.
Endlich ging das Licht an. Mit dem Schlüssel in der Hand lief sie zielstrebig auf den kleinen Peugeot zu, blieb jedoch abrupt stehen, als sie die geöffnete Hintertür bemerkte. Unsicher, ob das Mobiltelefon in der Tiefgarage Netzempfang hatte, flog ihre rechte Hand zur Handtasche an ihrer Seite. Hektisch wühlte sie darin herum. Sie drehte den Kopf. Schaute zuerst über die rechte, dann über die linke Schulter. Die Fingerspitzen ertasteten das Telefon. Noch bevor das Display hell wurde, umfasste eine große behandschuhte Hand die ihrige mitsamt dem Handy.
Liane fuhr herum. Ein gewaltiger Ruck ging durch ihre Schulter und sie begriff, dass der Kerl an ihrer Handtasche gezogen hatte. Doch der Lederbügel hielt stand und die Tasche klemmte noch immer unter ihrem Arm. Liane starrte in die verzerrte Maske eines traurigen Clowns, umrandet von einer dunklen Kapuze. Es dauerte einen Moment, bis sie im Stande war, einzuatmen, doch die Luft schien sich verflüssigt zu haben. Sie sah die Klinge in seiner Hand und wollte schreien, aber es kam kein Ton aus ihrer Kehle. Auf das Messer blickend, versuchte sie es noch einmal mit einem Schrei, als sich der Clown umdrehte und mit schweren Schritten davonlief. Er betätigte den manuellen Öffner und Liane hörte, wie das mechanische Tor hochfuhr. Im selben Moment sackte sie schnaufend auf dem Boden neben ihrem Wagen zusammen.
Verdammt, fluchte sie und schlug mit der flachen Hand gegen das Hartgummi des Hinterreifens. Er hatte ihr Telefon. Sobald sich ihr Atem etwas beruhigte, kam sie stolpernd auf die Füße, öffnete die Fahrertür und steckte den Kopf in das Fahrzeug. Eine unangenehme Mis