Kapitel 1
Sie war nicht viel älter als zwölf Jahre, aber unter der heißen afrikanischen Sonne war sie früh erblüht, und wie die Flammenlilien, die in roter und gelber Fülle auf dem Buschveld wuchsen, entwickelte sie Liebreiz und Lebenslust. Leidenschaftlich und scheu, erbebte sie unter der Wucht ihrer erotischen Sehnsüchte, errötete häufig ohne jeden Grund und versuchte, ihre Hoffnungen und Träume zu verbergen.
Sie beugte sich über den Brunnen und blickte in das Wasser hinab, sah dabei jedoch Pieter. Bei der Erinnerung daran, wie er sie angesehen hatte, zitterte sie vor Glück, und ihr Haar strich über ihre Schultern wie eine Liebkosung, während ihr Körper sich mit Gänsehaut überzog.
»Sehr eigenartig«, flüsterte sie. In letzter Zeit sah sie oft eine neue Eindringlichkeit in seinem Blick. Manchmal ertappte sie ihn dabei, dass er ihre Brüste oder Oberschenkel anstarrte, und dann errötete er und lachte. So war es auch an diesem Morgen gewesen. »Du bist wirklich hübsch, Liza«, hatte er gesagt, und in seinen Augen hatten Stolz und Verlangen aufgeleuchtet. Er war der Beste von allen – dieser Kindmann, der zu ihr gehörte … Er war der beste Schütze, der beste Jäger, der Stärkste und der Tapferste, und er war obendrein klug, gleichzeitig aber auch ein Rebell, der in der Schule dauernd Probleme hatte. Obwohl er aus armen Verhältnissen stammte, waren die Mädchen ganz verrückt nach ihm, wegen seiner Größe und seiner Stärke, wegen seiner schwarzen, gelockten Haare, seiner grünen Augen und seines Humors.
Ihre Tagträume wurden jäh von den Eseln unterbrochen, die Durst hatten, die armen Tiere. Sie zogen rastlos an ihren Geschirren, während sie Liza aufmerksam beobachteten. Mit schlechtem Gewissen drehte sie an der Kurbel, an der, tief unten am Ende der Kette, der schwere Eimer baumelte. Oh, was für eine langweilige Arbeit. Das Holz schürfte ihre Hände auf, und die Arme taten ihr weh. Eine Wolke quälender Fliegen erschien wie aus dem Nichts, und der Schweiß rann ihr in die Augen und brannte wie verrückt. Man musste die Kurbel genau fünfunddreißig Mal drehen, um den schweren Eimer an die Oberfläche zu holen. Sieben Umdrehungen fehlten noch. Würde sie es denn niemals schaffen? Wenn doch nur Pieter da gewesen wäre, um ihr zu helfen.
»Einunddreißig, zweiunddreißig«, murmelte sie. Dann spähte sie über den Rand des Brunnens und blickte angestrengt in die Dunkelheit hinab. Das Wasser war zu weit unten. Es hatte seit acht Monaten nicht geregnet, und sie wusste, welch furchtbare Sorgen Granny sich machte, dass die Quelle austrocknen würde. Dieses kostbare Wasser war für sie lebenswichtig, und sie verschwendeten niemals einen Tropfen davon. Gespeist wurde der Brunnen von einem unterirdischen Fluss, der die felsigen Hügel auf dem kahlen Land ihres Nachbarn de Vries zum nahegelegenen Fluss Komati entwässerte.
Die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammengekniffen, blickte sie auf und hielt Ausschau nach einer Wolke, aber der Himmel war von einem unbarmherzigen Blau, denn es war Frühling – September –, und zumindest für einen weiteren Monat bestand nur geringe Aussicht auf Regen. Um sie herum lagen die Beweise für den langen, trockenen Winter und die ungewöhnliche Dürre des vergangenen Sommers. Die Erde war gelb und verkrustet, und das Veld roch stark nach gerösteten, wilden Kräutern. Das Pampasgras war braun geworden, und die Apfelminze, die an der Tür wucherte, zu einem elenden Häufchen verwelkt. Grans Farm mit ihren bescheidenen zwanzig Morgen lag an der südafrikanischen Grenze. Dahinter erstreckte sich noch ein schmaler Streifen Land, das zum Homeland KaNgwane gehörte, und vier Meilen weiter östlich lagen die Lebombo-Berge, die Grenze zwischen dem östlichen Transvaal und Mosambik.
Heute stand ihnen ein weiterer sengend heißer Tag bevor. Es war erst neun Uhr, aber die Sonne brannte Liza bereits durch ihre Baumwollbluse auf den Rücken. Die Hühner flatterten, die Ziegen schwitzten und meckerten, und die Esel warteten unruhig darauf, aus dem Kraal in den Schatten gelassen zu werden. Sie spürte, wie sich die trockene Erde zwischen ihre Zehen bohrte, als sie die nackten Füße in den Boden drückte, um den Eimer über den Rand zu ziehen. »Vorsicht«, flüsterte sie. Sie kippte das brackige Wasser in den Trog und kehrte zum Brunnen zurück. Es war ein Gefühl, als sei sie in der Erde verwurzelt; seltsame Vibrationen durchfluteten sie, bis ihr ganzer Körper von einem Kribbeln erfasst wurde.
Eine Ameise kroch über den Rand des Brunnens; ihr großer roter Kopf zuckte, weil sie Wasser witterte. Dann blitzte plötzlich etwas Gelbes auf, ein Webervogel, der Steppengras im Schnabel hatte. Liza beobachtete, wie er den Halm in das Nest in dem Akazienbaum mit den leuchtend gelben Blüten einwob.
Schwitzend und müde kippte