1. KAPITEL
„Bitte ruh dich jetzt aus“, sagte Raul Carreras und drückte seine Mutter sanft in die Kissen zurück. Besorgt betrachtete er ihr aschfahles Gesicht. Sie schien kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen, was allerdings auch nicht verwunderlich war. Es ging ihr gesundheitlich nicht gut, und sie hatte erst vor kurzem ihren Mann und ihren Sohn verloren. Raul hatte Angst, dass sie sich von diesem furchtbaren Schicksalsschlag nicht wieder erholen würde.
„Ich will mich aber nicht ausruhen“, protestierte Aria Carreras und schob die Decke zur Seite, die ihr Sohn fürsorglich über sie gebreitet hatte. „Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln! Meine Enkel sind entführt worden, und niemand weiß, ob sie noch am Leben sind.“ Tränen traten ihr in die Augen, und sie bebte am ganzen Körper.
Rauls Miene wurde hart, als er sah, wie seine Mutter litt. Im Moment war er nicht in der Lage, ihren Schmerz zu lindern, doch eines Tages würde er sich für all das Leid rächen, was seiner Familie zugestoßen war!
„Bitte beruhige dich, Mutter“, erwiderte er. „Wir wissen doch noch gar nicht, ob die Kinder wirklich entführt worden sind.“
„Was denn sonst?“, antwortete Aria Carreras aufgebracht. „Was für ein Unglück! Wenn doch nur dein Vater noch lebte! Er hätte genau gewusst, was zu tun wäre. Warum nur weilt er nicht mehr unter uns! Das Ganze wäre niemals geschehen …“ Sie blickte auf und sah, wie sehr ihre Worte Raul getroffen hatten, denn normalerweise zeigte er seine Gefühle nie. Sofort tat es ihr Leid, und sie nahm die Hand ihres Sohnes. „Bitte verzeih mir, das war nicht fair. Du hast alles getan, damit so etwas nicht passiert.“
Raul rang sich ein Lächeln ab. Ihr war genau bewusst, dass die von ihm angeordneten Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend gewesen sein mussten. Wieso sonst konnten zwei Kinder nachts einfach so verschwinden, ohne dass der Alarm ausgelöst worden war?
„Wenn dein Vater noch leben würde, hätte er sich jetzt schon lange mit der Polizei überworfen und außerdem noch einen diplomatischen Zwischenfall verursacht“, sagte Aria Carreras nun.
„Das glaube ich nur zu gern“, antwortete Raul und setzte sich neben seine Mutter aufs Bett. „Vertrau mir einfach. Ich werde Katerina und Antonio zurückholen, koste es, was es wolle.“
Aria Carreras nickte zufrieden. Ihr Sohn versprach nie etwas, das er später nicht halten konnte. Sie strich ihm sanft über die Wange und spürte, wie entschlossen er war. „Das weiß ich doch“, erwiderte sie und entspannte sich etwas.
„Dann nimmst du also das Beruhigungsmittel, das der Arzt dir gegeben hat?“
Aria Carreras seufzte. „Wenn es denn unbedingt sein muss.“
Ihr Sohn küsste sie auf