Ein Träumer aus Providence
Anmerkungen zu H.P. Lovecrafts Leben und Werk
»Zu keiner Zeit in seinem Leben empfand Howard Angst vor dem Unbekannten«, erzählte Frank Belknap Long über seinen engen Freund H.P. Lovecraft. »Er glaubte nicht daran, dass es etwas gab, das diese Angst rechtfertigen würde, da in seinen Augen der Tod doch nur ein langes Vergessen war und deshalb willkommen geheißen werden sollte.« Lovecraft änderte diese stoische Einstellung nicht, als er die unerträglichen Schmerzen eines Krebsleidens erduldete, an dem er am15. März1937 im Alter von sechsundvierzig Jahren starb. In den letzten Wochen seines Lebens notierte er akribisch die Krankheitssymptome, doch wich er bis zuletzt nicht von seiner Überzeugung ab, dass auf der anderen Seite kein Gott, keine spirituelle Erlösung wartete.
Dieser kompromisslose Materialismus wurzelte in einer gründlichen Beschäftigung mit den naturwissenschaftlichen Entdeckungen seiner Zeit und dem darwinistischen Weltbild, das seit dem Ende des19. Jahrhunderts das Selbstverständnis des Menschen als Krone der Schöpfung immer weiter aus den Angeln gehoben hatte. Der überschaubare Zeitraum von wenigen Jahrtausenden, den die biblische Überlieferung der Menschheitsgeschichte zumaß, wich einem Abgrund aus Zeit, einem endlosen Zyklus des Werdens und Vergehens, dem Lebensformen ebenso unterworfen waren wie Zivilisationen, Spezies ebenso wie Planeten und Sterne. Aus diesen erschreckenden neuen Gewissheiten schöpfte Lovecraft das schleichende Unbehagen, das viele seiner Erzählungen prägte. Das übernatürliche Grauen, das er in seiner Literatur heraufbeschwor, basierte weniger auf der Angst vor dem Unbekannten als auf der Angst vor der Wahrheit; einer Wahrheit, die zu groß und entsetzlich ist für den fragilen Verstand eines Sterblichen.
Wahnsinn war gewissermaßen ein fester Bestandteil von Lovecrafts wechselvoller Familiengeschichte. Sein Vater, Winfield Scott Lovecraft, war Handlungsreisender für eine Silberschmiede. Während einer Geschäftsreise erlitt er einen schweren psychischen Zusammenbruch und wurde ins Butler Hospital für Geisteskranke in seiner Heimatstadt Providence eingewiesen, wo er bis zu seinem Tod fünf Jahre später interniert blieb. Ursache war vermutlich eine damals nicht diagnostizierte Syphilis im Endstadium. Welche seelischen Spuren diese unbegreifliche Katastrophe bei Frau und Kind hinterließ, kann man sich nur schwer vorstellen; dass sie den weiteren Lebensweg des Sohnes beeinflusste, steht außer Frage.
Howard Phillips Lovecraft wurde am20. August1890 in Providence, Rhode Island, geboren und war erst sieben Jahre alt, als sein Vater starb. Die Beziehung zu seiner Mutter, Sarah Susan Phillips, die einer altehrwürdigen neuenglischen Familie entstammte, dürfte nach diesem Verlust enger, aber auch schwieriger geworden sein. Sein Großvater, Whipple Van Buren Phillips, ein umtriebiger und gebildeter Geschäftsmann, der über eine umfangreiche Bibliothek verfügte, sorgte jedoch nicht nur für ein sicheres Zuhause, sondern weckte früh seine Liebe für das Gespenstische und Wunderbare. Er erzählte seinem gebannt lauschenden Enkel »improvisierte Geschichten über dunkle Wälder, unergründliche Höhlen, geflügelte Monstren«. Auch die Bücherschätze des Großvaters mögen dem jungen Lovecraft einen gewissen Trost geboten haben. Als Kind liebte er die Märchen aus tausendundeiner Nacht sowie Samuel Coleridges düstere Ballade vom »alten Seemann«. Er entdeckte die griechischen Heldenepen, die unheimlichen Geschichten Edgar Allan Poes, aber auch die schlicht gestrickten Abenteuer der Pulp-Magazine, und begann selbst frühreife Imitationen der Texte zu schreiben, die er mit Begeisterung las.
Die Naturwissenschaften, vor allem Chemie und Astronomie, begannen sein jugendliches Interesse zu wecken. Statt literarisch