GUT GETROFFEN
»Mario, du spinnst wohl, ich bringe dich um.« Lisa, die Freundin von Commissario Mario Moretti, springt wütend aus dem Bett und reißt das Bettlaken mit sich. »Schon wieder das Gleiche mit deinem blöden Wecker.«
Moretti dreht sich mit geschlossenen Augen auf die andere Seite, mit einer Hand sucht er nach dem Laken. Sekundenbruchteile später verspürt er einen Schlag, den Aufprall eines harten Gegenstandes auf seinem Kopf.
»Aua, Lisa, was kann ich denn dafür, wenn der Wecker nicht läutet.« Moretti fasst sich mit noch immer geschlossenen Augen an den Kopf, gleich darauf schielt er blinzelnd auf seine Hand. »Ich blute, Lisa. Ich verblute.«
»Dann ist der Wecker doch für was gut.«
»Ich kann kein Blut sehen«, stammelt Moretti zwar leise vor sich hin, aber immerhin so laut, dass Lisa es im Bad hört.
»Certo, darum bist du ja bei der Polizei, du Held.«
Moretti drückt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Bettlaken auf die Wunde und blickt mitleiderregend zu Lisa, die in diesem Moment aus dem Bad rennt, sich ihren Autoschlüssel greift und zur Tür hastet.
»Ciao Amore, ich muss zum Großhändler. Wir sehen uns, falls du es überlebst.« Bevor sie die Tür schließt, betrachtet sie noch einmal den Leidenden, der gerade eine andere Stelle des Betttuchs an seinen Kopf drückt.
»Wenn du noch eins brauchst, du weißt ja, wo sie sind.« Lisa grinst und lässt die Tür ins Schloss fallen.
Die Wohnung von Commissario Moretti liegt im Centro Storico von Teramo, einer ruhigen Seitenstraße unweit der Piazza della Liberta. Heute, am Samstag, ist Wochenmarkt und geschäftiges Treiben empfängt Lisa. Die Marktverkäufer haben längst ihre Stände aufgebaut, und die ersten Kunden, meist Angehörige der älteren Generation von Teramo, nutzen die morgendliche Frische für den Einkauf. Ein großer, dunkelhäutiger Mann stellt sich Lisa in den Weg.
»Buongiorno, bella Signora Commissario, was für eine Gluckstag für Sie. Bin ick die Erste, die Ihnen über Weg läuft?«
»Ciao, Obama, lass mich in Ruhe, ich bin in Eile.«
»Obama« oder »Präsident« nennen ihn alle, seinen richtigen Namen kennt man nur in der Questura. Dort war er schon mehrmals tageweise wegen Schwarzhandels mit allen möglichen nachgemachten Luxusartikeln untergebracht. Hat man große Fantasie, kann man eine Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Präsidenten erahnen, besonders wenn er lacht, was er meistens tut.
»Obama, warum soll das mein Glückstag sein? Bloß weil du mir über den Weg läufst?«
»Signora Moretti, weil ick gehört, es Gluck macht, wenn man sieht eine Kaminkehrer.«
»Aber du bist doch kein Kaminkehrer.« Lisa schüttelt den Kopf und will, so viel Zeit muss sein, Obama die Familienverhältnisse klarmachen.
»Dock, in der Bar sagen, schau, da komm die Kaminkehrer.« Seine schneeweißen Zähne strahlen Lisa entgegen, was auch sie zum Lachen bringt. Schnell ruft sie ihm im Weiterlaufen noch zu, dass sie weder Moretti heiße, noch die Signora Commissario sei.
Gerne wäre sie jetzt in die Bar gegangen. Dafür haben die Italiener eigentlich immer Zeit, oder sie nehmen sie sich. Lisa aber hetzt weiter durch die immer mehr werdenden Marktbesucher. Kaum sitzt sie in ihrem Auto, klingelt das Handy. Sie holt es aus der Tasche, aber es ist nicht ihres.
»So ein Blödmann! Sein Handy.« Noch völlig außer Atem greift sie es sich. »Pronto.«
»Scusi, Mario? No, äh, Anna, äh, oder Lisa, sono io, Enzo. Gib mir Mario, schnell, es ist dringend.«
»Enzo, buongiorno. Ich heiße Lisa und sitze im Auto, versuch es doch bei Anna.«
»Habe ich – äh.« Peroni merkt, dass er gerade in ein etwas größeres Fettnäpfchen getreten ist.
»Mario ist zu Hause und verblutet gerade.«
»Jetzt nicht, das kann er später. Grazie, Ann – äh Lisa, ciao.«
Was will er denn von Mario, heute an seinem freien Tag? Lisa hätte es gerne gewusst, hält sich aber nicht länger mit der Frage auf. Enzo ruft Mario sicher gleich zu Hause an.
Das Telefon klingelt, aber es ist keiner zu Hause. Der Commissario hat sich sofort angezogen, nachdem Lisa gegangen war. Er will zur Apotheke, ein Desinfektionsmittel besorgen. Die Gesamtmenge des verlorenen Blutes hätte vielleicht ausgereicht, einen Tag lang eine Mücke zu ernähren, aber Moretti ist, was Blut und die kleinsten Wunden betrifft, ein großer Angsthase. Ungewaschen, un