Was ist das vegetative Nervensystem?
Unser vegetatives Nervensystem ist eines der wichtigsten Systeme, das unsere Organe, unser Unterbewusstsein und damit auch unsere Gefühle und Intuition steuert. Der Vagusnerv spielt in diesem System die wichtige Rolle, uns zu Ruhe und Entspannung zu bringen. In diesem Kapitel gehen Sie auf eine interessante Reise zu Ihrem Ruhenerv!
Die Nervenautobahn
Eine Schlüsselrolle in der Wechselwirkung zwischen dem Gehirn und den Organen spielt das sogenannte vegetative Nervensystem. Es entzieht sich unserem Willen und damit der bewussten Beeinflussung.
Das vegetative Nervensystem besteht aus zwei großen Nervensträngen, die man sich wie mächtige Datenautobahnen vorstellen kann: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Neben dem enterischen Nervensystem – dem Nervengeflecht des Darms – gehört der Vagusnerv, den Sie in diesem Buch genau kennenlernen werden, zum Parasympathikus. Auf den Autobahnen des vegetativen Nervensystems werden fortlaufend Impulse aus den tiefen Gehirnschichten zu den Körperorganen und wieder zurück gesendet. Dabei fungiert der Sympathikus als eine Art Beschleuniger: Mit der Freisetzung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin aktiviert er das Organgewebe, erweitert die Atemwege, beschleunigt den Herzschlag und treibt den Blutdruck in die Höhe. Diese Sympathikus-Reaktion wird in der Natur benötigt, um Kampf- und Fluchtverhalten auszulösen und Mensch wie Tier Rettung aus Gefahrensituationen zu ermöglichen. Aber auch in alltäglichen Stresssituationen, etwa einer Auseinandersetzung mit dem Chef, einem drängelnden Autofahrer oder einem unerfreulichen Brief vom Finanzamt spielt das »Beschleuniger-System« des Sympathikus eine große Rolle, wie Sie später noch erfahren werden.
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Beim menschlichen Nervensystem wird zwischen dem Zentralnervensystem (ZNS) mit Gehirn und Rückenmark und dem restlichen, peripheren Nervensystem, das den ganzen Körper durchzieht, unterschieden. Darüber hinaus ist bei der Einteilung das Kriterium bedeutsam, ob das Nervensystem willentlich beinflussbar ist oder ob es zum vegetativen, nicht beeinflussbaren System gehört. Das vegetative Nervensystem wird in einen sympathischen (Sympathikus) und einen parasympathischen Teil (Parasympathikus) unterteilt, die Gegenspieler sind.
Der Parasympathikus ist quasi der Gegenspieler des Sympathikus und stellt für den Organismus so etwas wie eine Bremse dar. Er sorgt für Entspannung und Ausgleich. Sein Botenstoff Acetylcholin senkt die Herzfrequenz und damit den Puls, verengt die Atemwege und steigert die Bewegung des Darms, was einer Verdauung in Ruhe entspricht. In jeder Sekunde regulieren diese beiden Systeme die vegetativen Vorgänge in unserem Inneren. Unter normalen Bedingungen besteht eine Ausgewogenheit zwischen ihren Aktivitäten – Sympathikus und Parasympathikus halten sich also die Waage und reagieren angemessen auf die Signale, die von außen kommen. Ein Reh hat so beispielsweise die Möglichkeit, kraft seines Sympathikus in Habachtstellung zu gehen, wenn es Gefahr wittert und nötigenfalls die Flucht zu ergreifen, um dann – parasympathisch gesteuert – wieder ruhig und gelassen der Futtersuche nachzugehen, wenn es keine Warnsignale mehr empfängt.
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Bei den meisten Tierarten und sogar bei unseren Haustieren funktioniert dieses »Anspannungs-Entspannungs-System« noch perfekt. Vielen Menschen jedoch macht ein Ungleichgewicht der vegetativen Steuerungsfunktionen zunehmend zu schaffen, wobei die Aktivität des Sympathikus über die Maßen gesteigert ist und der Parasympathikus keinen Ausgleich mehr zu leisten vermag. Woran liegt das? Wissenschaftler aus der Stressforschung machen vor allem die Lebensbedingungen unserer modernen Industrie- und Kommunikationsgesellschaft dafür verantwortlich: Hektik, Leistungsdruck, Konkurrenzdenken, Reizüberflutung, Überlastung, Einsamkeit, zu wenig Harmonie in den zwischenmenschlichen Beziehungen, zu viele Konflikte, immer weniger Geborgenheit in Familie und Partnerschaft, immer mehr Unsicherheit und Angst. Hinzu gesellt sich noch eine stressauslösende Enge in U-Bahnen, auf den Straßen und in Wohnsiedlungen. Das alles wirkt sich auf die vegetative Steuerung in unserem Organismus so aus, als befände man sich ständig im Ausnahmezustand. Der Körper ist quasi in Daueralarmbereitschaft, auf Kampf oder Flucht programmiert so wie bei unseren Steinzeitvorfahren, wenn sie dem Säbelzahntiger zu entrinnen versuchten und auf den nächsten Baum flüchteten. Das wirklich Gefährliche an dieser vegetativen Fehlregulation ist, dass es kaum noch »Entwarnung« gibt und die Zellen des Körpers unter einem adrenergenen Dauerbombardement stehen. Im schlimmsten Fall kann dies zur