Kapitel 2
John wartete vor dem Restaurant Good Earth. Er hatte das gesamte Register gezogen, um seiner männlichen Ausstrahlung Ausdruck zu verleihen. Er zeigte unverhohlen Begierde und Bewunderung, trug ein konspiratives Grinsen und einen Anflug von Fassungslosigkeit zur Schau. Warum sind wir nicht mehr zusammen?, schien er zu fragen, aber das alles war bis ins Kleinste einstudiert. Unzählige Male hatte sie miterlebt, wie er seinen Charme mit unterschiedlicher Intensität anknipsen konnte, abhängig davon, wen er damit betören wollte.
»O Gott, es tut gut, dich zu sehen, Sam! Du siehst bezaubernd aus. Ich habe dich vermisst.«
An Johns Äußerem war nichts Außergewöhnliches. Er hatte große blaue Baby-Augen, die in einem kantigen Schädel saßen, regelmäßige, grobe Gesichtszüge und hellbraunes, von der Sonne gebleichtes Haar. Ein ganz normaler Typ, Langstreckenschwimmer, Segler, ehemaliger Rugby-Spieler am College. Durch und durch ein Macho, auf den jede Frau hereinfiel ‒ bis auf die Frau, die er liebte.
Sam besuchte noch die High School, als John nach Woodlands kam, und sie verliebte sich mit der Inbrunst und Leidenschaft eines Teenagers in ihn. Noch immer wurde ihr am ganzen Körper heiß, wenn sie daran dachte, wie er ihr an ihrem siebzehnten Geburtstag einen Antrag gemacht hatte.
»Falls du mich heiraten willst, wenn du alt genug bist, dann sage ich ja«, hatte er ihr versprochen. Er zog sie gern damit auf, wenn sie wütend auf ihn losging, jetzt aber war, zumindest von ihrer Seite aus, zwischen ihnen nur noch geschwisterliche Zuneigung vorhanden. Sein Arm lag auf ihrer Schulter. Sie schüttelte ihn ab, ließ sich nicht auf seinen Smalltalk ein und musste sich gedulden, während ihnen ihr Tisch in der Ecke gezeigt wurde.
»Okay, John, komm ohne Umschweife zur Sache«, sagte sie.
»Jemand muss deinen Großvater zur Räson bringen.«
»Erzähl weiter.«
»Wir stecken in Schwierigkeiten, aber er will den Tatsachen nicht ins Auge sehen. Bierbrauen ist nicht mehr das, was es mal war. Traditionelles britisches Bier ist sowieso ein Verlustgeschäft, was in Kent durch illegale Importe nur noch beschleunigt wird. Die Steuern sind himmelschreiend. Die Leute kaufen ihr Bier in Frankreich und holen es rüber, wenn sie gerade Lust dazu haben.«
»Nicht jeder kann einfach über den Kanal, um sich eine Flasche Bier zu besorgen.«
»Schon, aber in Dover sitzen genügend zwielichtige Typen, die arbeitslose Jugendliche auf den Fähren und Hovercrafts hin- und herschicken.«
»Werden die nicht vom Zoll aufgegriffen?«
»Bei einundzwanzig Millionen Reisenden, die jährlich durch Dover geschleust werden?«
»John, siehst du das alles nicht ein wenig zu schwarz?«
»Es kommt noch schlimmer. Was Trevor im Moment besonders erbost, ist eine kriminelle Bande, die Bier und Alkohol ins Land schmuggelt, die aus gestohlenen Lieferungen stammen. Er hat sich in den Kopf gesetzt, herauszufinden, wer dahinter steckt. Er meint, sie hätten es vor allem darauf abgesehen, unsere Position zu schwächen, damit wir gezwungen sind zu verkaufen. Das ist verrückt, wir sind doch nur ein kleiner Fisch. Wir zählen überhaupt nicht.«
»Trevor muss einen Grund haben, wenn er das annimmt.«
»Hör mir zu, Sam. Ich sag’s dir ganz offen. Er wird langsam alt ‒ akzeptier es. Er glaubt, er sei wieder im SAS, der alte Trottel!«
Sam spürte, dass Johns Kritik an ihrem Großvater sie allmählich verärgerte. »Wer gibt dir das Recht, ihn als…«
John fasste nach ihrer Hand. »Okay, tut mir Leid. Du weißt, wie nahe mir Trevor steht ‒ schließlich hat er mir mal das Leben gerettet. Aber wir müssen etwas unternehmen. Er jagt hinter Schmugglern her, statt sich auf die Brauerei zu konzentrieren. Wir sind tief in den roten Zahlen, Sam. Die Bank drängt darauf, dass er verkauft, jetzt, nachdem ein gutes Angebot vorliegt.«
»Was?«
Einige Köpfe drehten sich in ihre Richtung.
»Davon hat mir niemand was gesagt!« Sie war wütend. Jeder schien es darauf abgesehen zu haben, ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Erst Walter, jetzt Großvater. Und warum hatte es ihr keiner erzählt?
»Sei nicht sauer, Sam. Eine alteingesessene tschechische Brauerei namens Balaton ist seit einiger Zeit an Woodlands interessiert. Trevor hat bislang jedes Angebot ausgeschlagen, obwohl man bereit ist, einen großzügigen Preis zu bezahlen. Die Bank setzt ihn unter Dru