Kapitel 1
Es gab eine Zeit voller Fröhlichkeit, als die Zukunft wie ein lockender Stern am Himmel meiner unbeschwerten Jugend strahlte und ich, die Novizin des Lebens, die Welt mit neuen Besen kehrte. Ich war von der beruhigenden Gewissheit erfüllt, dass ein allwissendes und gütiges Schicksal über mich wachte. Ich war sicher, dass die Bande zwischen meinen Eltern unzerreißbar seien. Ich war überzeugt davon, als Erwachsene ein erfülltes Leben zu finden. Ich glaubte fest daran, dass kluge Menschen die Geschicke der Welt leiteten. Und vor allem glaubte ich an die alles heilende Kraft der Liebe.
Ich wuchs in den nebligen Bergen von Torrindon im schottischen Hochland auf. Ich wusste, wo der Goldadler in den unzugänglichen Gipfelregionen des Liathach sein Nest baute. Oft beobachtete ich, wie der Adler über den See schwebte und im Wald verschwand, um dort auf Jagd zu gehen, und kurz darauf vernahm ich die schrillen Todesschreie eines Kaninchens oder eines Hasen, die abrupt verstummten. Manchmal, an Frühlingsabenden, hörte ich die zornigen Rufe des Adlers und wusste, dass er wieder töten musste, wollten er und seine Jungen nicht sterben.
Die Sommer waren die schönste Zeit des Jahres. Oft schlich ich mich aus dem Haus, um in den Nächten, in denen es nie völlig dunkel wurde, auf Streifzüge zu gehen. Ich sah Hirsche und Rehe und wilde Ziegen, die zum Seeufer herunterkamen, um dort zu grasen und zu trinken. Ich wurde braun gebrannt, kräftig und abgehärtet; ich hatte Kratzer am ganzen Körper, und mein dunkelrotes Haar wurde lang und widerspenstig und gebleicht von der Sonne.
Als Einzelkind, das noch dazu in einem abgeschiedenen Haus aufwuchs, wusste ich kaum etwas darüber, was üblicherweise die Jungen taten und was die Mädchen. Statt mit Puppen zu spielen, lernte ich, im Kanu auf reißenden Bergflüssen zu paddeln und an den stürmischsten Tagen mit Vaters kleiner Jacht auf dem See zu segeln. Ich bestieg sämtliche Gipfel in der Gegend und ging im eiskalten Wasser der Bergseen schwimmen. Ich konnte mit der Schleuder besser umgehen als jeder Junge, den ich kannte. Ich lernte, den Fährten der Wilderer zu folgen und ihre Fallen unschädlich zu machen. Ich lernte, Holz zu hacken und Bretter zu sägen. Doch eines lernte ich nie: Angst zu haben. Die Angst war etwas für Schwächlinge und Versager. Wir Ogilvies kannten keine Angst. Und so wurde ich stark und zäh und selbstbewusst ‒ und ein bisschen überheblich ‒ in meinem Hafen des Glücks, dem alten Herrenhaus meiner Eltern, das zwischen den Fichten am Ufer des Sees stand.
Die Winter waren eine Zeit der Ruhe und Beschaulichkeit, wenn das Kaminfeuer loderte und das Haus vom würzigen Duft brennender Fichten-, Eiben- und Wacholderzweige erfüllt war. Oft lag ich dann auf einem schwarzen Läufer aus Schaffell vor dem Kamin, las stundenlang und lernte neue Freunde kennen: David Copperfield, Tarn O’Shantner und Wandering Willie. Spätabends schwelte die Glut unter großen Torfstücken im Kamin; am frühen Morgen, bevor ich mich auf den Weg zur Schule machte, verbreitete sie immer noch wohlige Wärme. Im Winter war Mutter des Öfteren zu Hause, und manchmal schaute Vater herein, um die Ehrerbietung und Bewunderung zu genießen, die heimkehrende Krieger sich verdient haben.
Wir lebten ein abgeschiedenes Leben in Ogilvie Lodge. Der einzige Ort im weiteren Umkreis hieß Torrindon. Dort ging ich zur Schule. Meine Mutter liebte den Trubel und die Gesellschaft anderer Menschen und war deshalb oft tagelang fort, um dann mit einer großen Ladung Einkaufstaschen und Hutschachteln und in Seidenpapier gewickelten Geschenken nach Hause zu kommen, wobei ihre Augen unter ihrer modischen Frisur funkelten. Während sie mir dann ihre neuen Kleider, ihren neuen Schmuck und die nutzlosen Geschenke zeigte, die sie mir mitgebracht hatte, war das Haus von den Klängen schwungvoller Tanzmusik erfüllt, und Mutter pochte mit der Schuhspitze im Takt auf den Fußboden.
Sie war eine Träumerin, die ein Dutzend Leben gleichzeitig lebte. Als junges Mädchen saß ich manchmal mit ihr zusammen und lauschte gespannt, wenn sie sich Geschichten darüber ausdachte, was mit mir und ihr und Daddy hätte sein können, würden wir nicht so abgeschieden leben, und ich betrachtete ihr langes, rot schimmerndes Haar und ihre großen blauen Augen, die sehnsüchtig durchs Fenster auf die schneegekrönten Berggipfel blickten.
Warum hatte sie sich für Vater entschieden? Vielleicht, weil er beim britischen Geheimdienst arbeitete. Vielleicht, weil das Königshaus ihm für seine Verdienste um die Krone drei Orden verliehen hatte. Vater war ein besonderer Mann ‒ Sportler, Geheimdien