: Marcel Proust
: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Frankfurter Ausgabe Band 7: Die wiedergefundene Zeit
: Suhrkamp
: 9783518767467
: 1
: CHF 22.00
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 641
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Mi dem siebten und letzten Band von Prousts großem RomanwerkAuf der Suche nach der verlorenen Zeit schließt sich der Kreis: Der Erzähler Marcel findet zu seiner schriftstellerischen Berufung und beginnt endlich mit der Arbeit an seinem Werk.



<p>Marcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk<em>Auf der Suche nach der verlorenen Zeit</em> ist zu einem Mythos der Moderne geworden.</p><p>E ne Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem - nur vermeintlich müßigen - Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär.<em>In Swanns Welt</em>, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band,<em>Im Schatten junger Mädchenblüte</em>, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der<em>Suche nach der verlorenen Zeit</em> wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.</p>

Denn von dem Gefühl gewogen, das ihm innewohnte, unterließ es der Schriftsteller regelmäßig, lange bevor er eines Tages ein solcher zu werden meinte, soundso viele Dinge zu registrieren, die andere zu beobachten pflegten, woraufhin er von jenen der Zerstreutheit, von sich selbst jedoch der Unfähigkeit bezichtigt wurde, zuzuhören oder zu beobachten; während dieser Zeit jedoch gebot er seinen Augen und Ohren, Dinge für immer festzuhalten, die andere als kindische Nichtigkeiten abgetan hätten: den Tonfall, in dem jemand einen Satz gesagt, den Gesichtsausdruck und die Schulterbewegung, die bei einer bestimmten Gelegenheit diese oder jene Person, von der er vielleicht nichts anderes weiß, vor vielen Jahren an sich gehabt, und das nur, weil er diesen Tonfall schon einmal vernommen hatte oder weil er spürte, daß er ihn werde wiederhören können, daß er etwas darstellte, was wiederholbar und von Bestand sein würde; das Gefühl für das Allgemeingültige wählt in dem künftigen Schriftsteller selbst aus, was allgemeingültig ist und in das Kunstwerk einmal wird eingehen können. Denn er hat den anderen immer nur zugehört, wenn sie, wie dumm oder töricht sie auch sein mochten, dadurch, daß sie wie Papageien wiederholten, was die Leute gleichen Charakters sagten, sie zu weissagenden Vögeln und Sprachrohren eines psychologischen Gesetzes gemacht hatten. Er entsinnt sich nur des Allgemeingültigen. Durch solche möglicherweise in seiner fernsten Kindheit wahrgenommenen Eigentümlichkeiten des Tonfalls oder der Physiognomie war das Leben der anderen in ihm dargestellt und würde, wenn er später einmal schriebe, das Bild einer Person mittels einer vielen gemeinsamen Schulterbewegung gestalten, die so echt ist, als sei sie in den Heften eines Anatomen verzeichnet, hier aber eine psychologische Wahrheit ausdrücken soll, dazu aber auf diesen Schultern die von einem anderen gemachte Halsbewegung fixieren, so daß jeder einen Augenblick lang Modell gesessen hätte.

Es ist nicht gesagt, daß bei der Erschaffung eines literarischen Werks Imagination und Sensibilität nicht austauschbare Vorzüge sind und daß die zweite nicht ohne großen Schaden die erste ersetzen könnte, so wie Leute, deren Magen unfähig ist zu verdauen, diese Aufgabe ihrem Darmsystem überlassen. Ein von Geburt mit Sensibilität begabter Mensch könnte, auch wenn er keine Imagination besäße, gleichwohl bewundernswerte Romane schreiben. Das Leiden, das die anderen ihm bereiten würden, seine Bemühungen, diesem im voraus zu begegnen, die Konflikte, die ebendieses Leiden und die grausame zweite Person heraufführen könnten – all das würde, vom Verstand gedeutet, sehr wohl den Stoff eines Buches zu bilden vermögen, das nicht nur ebenso schön wäre, als wäre es imaginiert, als wäre es erfunden, sondern auch, sofern der Autor sich selbst überlassen und glücklich gewesen wäre, seinen Träumen ebenso fremd, für ihn selbst ebenso überraschend, ebenso zufällig wie eine plötzliche Laune der Imagination.

Auch noch so dumme Menschen künden in ihren Gebärden, ihren Reden, ihren unwillkürlich ausgedrückten Gefühlen von Gesetzen, die sie selbst nicht bemerken, der Künstler aber an ihnen beobachtet. Wegen dieser Art des Beobachtens hält man gemeinhin den Schriftsteller für boshaft, doch tut man es zu Unrecht, denn in einer Lächerlichkeit erkennt der Künstler einen schönen allgemeingültigen Zug, er legt ihn der beobachteten Person ebensowenig zur Last, wie der Chirurg sie geringschätzen würde, weil sie an einer ziemlich häufig auftretenden Form von Kreislaufstörung leidet; er macht sich also weniger als irgend jemand über Lächerlichkeiten lustig. Unglücklicherweise ist er statt boshaft eher unglücklich zu nennen: Wenn es um seine eigenen Leidenhaften geht, befreit er sich, mag ihre Allgemeingültigkeit ihm auch wohl