PROLOG
Russische Taiga, Winter1992
Oi, moros …
Oh du grimm’ge Kälte,
lass mich nicht erfrier’n …
Ich habe ein gar missgünstig Weib …
Oi, moros …
Dmitri kauerte vor einem Baum und befestigte vergnügt vor sich hin singend eine Falle am Stamm. Egal, wie betrunken er war, eine einwandfreie Schlinge brachte er immer zustande – eine, die sich unter Zug unerbittlich festzurrte und dennoch problemlos lösen ließ. Er schwankte, verstummte kurz, während er sein Werk prüfend betrachtete. Praktische Sache, so eine Schlingenfalle, dachte er. Elegant, einfach, brutal. Am Rande der kleinen Lichtung, die um eine umgestürzte Koreakiefer entstanden war, hatte er vier Schlingenfallen ausgelegt. Dies hier war die letzte. Er bedeckte das Stahlseil mit etwas Reisig und Schnee, dann verwischte er seine Fußspuren.
»Vorsicht, Jana«, sagte er zu dem rostroten Terrierweibchen, das schnüffelnd das Feuer umrundete. »Du hast hoffentlich gut aufgepasst, wo sie liegen.«
Mein liebreizend Weibe
harrt meiner zu Haus.
Harrt meiner, von Gram erfüllt …
Kehr ich abends heime,
schließ sie in die Arm’…
Oi, moros …
Dmitri kehrte zurück zu seiner Flasche und dem Baumstumpf, der ihm als Sitzgelegenheit diente, und sein Gesang – dank seiner von Polypen übersäten Stimmbänder eher ein heiseres Krächzen – hallte noch eine ganze Weile durch den Wald, bis die Flammen des Lagerfeuers in der Glut versanken und die kalte Luft über ihn herfiel, stechend wie Dolchspitzen, gerade so, als hätten sich zehn mit Kidschal bewehrte Kosaken auf ihn gestürzt.
Um den Moment, an dem er aufstehen und neues Feuerholz holen musste, noch ein Weilchen hinauszuschieben, klopfte sich Dmitri lockend auf die Oberschenkel, doch Jana hatte wie üblich keine Lust, ihm als Wärmekissen zu dienen. Zwischen seinem Schmerbauch und den Knien war kaum Platz, zudem stank sein Atem um diese Uhrzeit schon beißend nach Alkohol. »Nun komm schon, Kleines!«, rief Dmitri, doch die Hündin zierte sich, wich seinen Händen aus.
Er steckte sich grummelnd eine Zigarette zwischen die Lippen. Es dauerte etliche Sekunden, bis er es geschafft hatte, die Flamme und das untere Ende der Zigarette zueinander zu führen.
Dmitri hatte einen Plan, und dieser Plan würde ihn reich machen.
»Und zwar schon sehr bald.« Mit diesen Worten erhob er sich schwerfällig vom Baumstumpf, griff nach seiner Axt und steuerte durch den Schnee wankend auf die Bäume zu. »Oi, moros«, sang er. »Lass mich nicht erfriern …«
Jana hüpfte hinter ihm her, die Ohren gespitzt, die Schnauze in die Luft gestreckt, weil der Schnee ein klein wenig zu hoch lag für ihren Geschmack.
Dmitri kehrte mit einem Armvoll Ästen zurück, kippte etwas Wodka auf die Feuerstelle und nahm selbst einen wärmenden Schluck aus der Flasche. Dann umrundete er einige Male den behelfsmäßigen Unterschlupf, den er sich gebaut hatte. Es war ein armseliges Gebilde unter einem rostigen Stück Wellblech, das im Schnee gesteckt hatte. Er hatte es an den dicken Stamm der umgestürzten Koreakiefer gelehnt, hatte Zweige und Reisig darauf gehäuft und mit Ästen beschwert, hatte weitere Äste geschlagen und damit das eine Ende verschlossen, sodass ein niedriges Schlaflager entstanden war, das den Elementen herzlich wenig entgegenzusetzen hatte, aber er gedachte ohnehin nicht lange zu bleiben. Sein Plan erforderte lediglich Kraft und Mut, und von beidem hatte Dmitri reichlich, was etwaige Schwächen in den Hintergrund treten ließ. Außerdem hatte er Jana, die ihn wärmen würde. Die Hündin beäugte den Unterschlupf argwöhnisch.
In einigen Metern Entfernung hing ein dunkelroter Rehkadaver, der in der Kälte allmählich zu Stein gefror – der Köder für den Tiger, an dem sich Dmitri nun aber selbst gütlich tun musste. Er hackte ein