: Anton Tschechow
: Der Kirschgarten Eine Komödie in vier Akten - Tschechow, Anton - russische Weltliteratur in deutscher Übersetzung - 14017
: Reclam Verlag
: 9783159617053
: Reclams Universal-Bibliothek
: 1
: CHF 2.60
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: Dramatik
: German
: 104
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Nur noch die Axtschläge sind, von weit her, aus dem Kirschgarten zu hören.« Russland, Ende des 19. Jahrhunderts: Die Gutsbesitzerin Ranjewskaja verbringt mit ihrer Familie den letzten Sommer auf ihrem hochverschuldeten Landgut, das versteigert werden soll. In seiner melancholisch-humorvollen Komödie zeichnet Tschechow den unvermeidbaren Untergang des russischen Adels nach, dessen Blütezeit längst vorüber ist und der - ebenso wie der Kirschgarten - einem neuen Zeitalter weichen muss. Der Anhang der Ausgabe wurde aktualisiert. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Anton Pawlowitsch Tschechow (29.1.1860 Taganrog - 15.7.1904 Badenweiler) ist einer der produktivsten russischen Schriftsteller des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Sohn eines kleinen Kaufmanns verfasste in den 23 Jahren seiner schriftstellerischen Laufbahn über 600 literarische Werke. Tschechow praktiziert als Arzt häufig unter Verzicht auf Bezahlung und nutzt seine medizinisch geschulte Beobachtungsgabe für seine gesellschaftlichen, oft ironischen Charakterstudien. Als prägend erweist sich ein dreimonatiger Aufenthalt in der als Strafkolonie genutzten Insel Sachalin im Rahmen einer Volkszählung im Jahre 1890. Seine Dramen wie Die Möwe', 'Der Kirschgarten', 'Drei Schwestern', 'Iwanow' oder 'Onkel Wanja' sind menschennahe, tragikkomische Aufarbeitungen seiner Beobachtungen. Mit seinen kurzen, pointierten Erzählungen wie 'Der Mann im Futteral', 'Die Dame mit dem Hündchen' oder 'Die Wette' hat er großen Einfluss auf das Genre der modernen Kurzgeschichte.Tschechow wurde zu Lebzeiten dreimal ausgezeichnet: 1888 Puschkin-Preis, 1899 mit dem Sankt-Stanislaus-Orden dritten Grades, seine ab 1900 bestehende Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften legte er aus Protest in den Tumulten um Maxim Gorki wieder ab. 1990 wurde Tschechow anlässlich seines 130. Geburtstages mit einer sowjetischen 1-Rubel-Gedenkmünze geehrt. Seit 1983 trägt der Asteroid 'Chekhov' seinen Namen.

[7]Erster Akt


Das Zimmer, das noch immer »Kinderzimmer« genannt wird. Eine der Türen führt in Anjas Zimmer. Morgendämmerung. Bald wird die Sonne aufgehen. Es ist schon Mai. Die Kirschbäume blühen, doch im Garten ist es noch kalt. In der Nacht hat es gefroren. Die Fensterläden sind geschlossen. Dunjascha und Lopachin treten ein, Dunjascha mit einer Kerze, Lopachin mit einem Buch in der Hand.

 

LOPACHIN. Der Zug ist angekommen, Gott sei Dank! Wie spät ist es?

DUNJASCHA. Gleich zwei.(Löscht die Kerze.) Es wird schon hell.

LOPACHIN. Wie viel Verspätung hat der Zug wohl gehabt? Mindestens doch ein, zwei Stunden.(Gähnt und reckt sich.) Was mache ich für Dummheiten: Komme extra her, um sie an der Station abzuholen, und nun verschlafe ich mich … Im Sitzen bin ich eingeschlafen … So ein Ärger … Wenn du mich doch geweckt hättest!

DUNJASCHA. Ich dachte, Sie wären weggefahren.(Horcht.) Da, anscheinend kommen sie schon.

LOPACHIN(horcht). Nein … Erst muss das Gepäck noch abgeholt werden und dies und das …

  (Pause.)

  Ljubow Andrejewna hat fünf Jahre im Ausland gelebt. Ich weiß nicht, wie sie jetzt ist … sie war ein guter Mensch, natürlich und einfach. Ich erinnere mich: Als ich ein Junge war, so fünfzehn Jahre alt, da hat mein verstorbener Vater, der damals im Dorf einen Kramladen hatte, mich einmal mit der Faust ins Gesicht geschlagen,[8]so, dass das Blut aus der Nase rann … Wir waren aus irgendeinem Grund auf den Gutshof gekommen, und er war angetrunken. Ljubow Andrejewna, ich sehe sie vor mir, war noch jung, und so schlank, sie führte mich zum Waschbecken, das war hier in diesem Zimmer, dem Kinderzimmer. »Weine nicht«, sagte sie, »du kleiner Bauer, bis zur Hochzeit ist alles wieder heil!«

  (Pause.)

  »Kleiner Bauer!« … Mein Vater war wirklich ein Bauer, ich stehe nun aber mit weißer Weste da, in gelben Halbschuhen. Mit dem Schweinerüssel im Kuchenladen. Nur, dass ich reich geworden bin und viel Geld habe, aber wenn man’s sich überlegt, bleibt ein Bauer eben ein Bauer.(Blättert in dem Buch.) Das Buch da habe ich gelesen, und verstanden habe ich nichts. Ich bin beim Lesen eingeschlafen.

  (Pause.)

DUNJASCHA. Und die Hunde haben die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie wittern, dass die Herrschaft kommt.

LOPACHIN. Was hast du bloß, Dunjascha …?

DUNJASCHA. Mir zittern die Hände. Gleich falle ich in Ohnmacht!

LOPACHIN. Ganz schön empfindlich bist du, Dunjascha! Und ziehst dich an, wie eine junge Dame, und dann die Frisur. So geht’s doch nicht. Man darf nicht vergessen, wer man ist.

  (Jepichodow tritt ein, mit einem Blumenstrauß. Er trägt ein Jackett und blankgeputzte Stiefel, die bei jedem Schritt laut knarren. Beim Eintreten fällt ihm das Bukett hin.)

JEPICHODOW(hebt den Strauß auf). Das da schickt der Gärtner. Ins Speisezimmer stellen, sagt er.(Gibt Dunjascha den Strauß.)

[9]LOPACHIN. Und mir bring Kwass mit!

DUNJASCHA. Jawohl, mein Herr!(Ab.)

JEPICHODOW. Nachtfrost hat es heute gegeben, drei Grad Kälte, dabei stehen die Kirschen in Blüte. Ich kann unser Klima nicht billigen!(Seufzt.) Ich kann’s einfach nicht. Unser Klima kann im gegebenen Falle nicht günstig sein. Sehen Sie, Jermolaj Alexéitsch, gestatten Sie mir, Ihnen darzulegen, dass ich mir vorgestern neue Stiefel gekauft habe, jedoch, gestatten Sie mir, Ihnen zu versichern, sie knarren derart, dass es nicht auszuhalten ist. Womit könnte ich sie wohl schmieren?

LOPACHIN. Hör auf! Du gehst mir auf die Nerven!

JEPICHODOW. Jeden Tag stößt mir irgendein Unglück zu. Aber ich beklage mich n