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Die Agentur hatte Jonas ebenso schnell abgewickelt, wie er sie fünf Jahre zuvor zusammen mit Corinna aufgebaut hatte. Corinna wollte die leeren Räume nicht sehen, sie halte das nicht aus, hatte sie gesagt, ihr widerstrebe die »kalte Entsorgungssituation«, diese merkwürdige Formulierung hatte sie in einer Mail an Jonas benutzt. Die Computer waren bereits alle verkauft, die weißen Schreibtische mit Klebezetteln versehen. Noch zwischen den Jahren sollte das Mobiliar abgeholt werden, eine Start-up-Firma hatte einen guten Preis dafür geboten. In die Räume würde wieder eine Agentur einziehen, diesmal eine, die Champagner aus aller Welt an Luxus-Caterer vermittelte. Wenn es in dieser Welt keine herkömmliche Arbeit mehr geben sollte, wird es immer noch originelle Köpfe geben, die Angebot und Nachfrage erfinden, dachte Jonas. Und wenn jede herkömmliche Art von Dienst beendet sein wird, werden die Kreativen ihre Fiktion von Arbeit an den Mann bringen. Die leeren Räume kamen ihm auf einleuchtende Weise friedlich vor, so als sei hier die einzig richtige Entscheidung getroffen worden. Fabian hatte einen Computerausdruck mit Anweisungen für die Putzkolonne auf einen der Tische geklebt, Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Möbeloberflächen und der Elektrik – dieser Mann sorgte noch im Untergang dafür, dass alles mit Präzision und Ordnung vonstattenging.
Jonas setzte sich an seinen Schreibtisch und wählte die Nummer von Richard Stein. Er wusste, dass der Alte erst gegen Mittag ansprechbar war, seine Nächte fielen gemeinhin relativ kurz aus, weil er nicht schlafen konnte und bis in den Morgen las oder fernsah. Zwei- oder dreimal hatte er bereits mit Stein geredet, und jedes Mal hatte Jonas den Eindruck gewonnen, Stein sei nicht überzeugt von ihrem gemeinsamen Vorhaben. Andererseits war er eitel genug, die Aussicht auf eine umfassende Biographie nicht zurückzuweisen. Es galt also, ein Spiel zu spielen, in dem es darum ging, den Narzissmus des Alten als Spielart des Genialen zu begreifen und Stein auch den Eindruck zu vermitteln, dass ein so großes Vorhaben wie das einer Biographie ausschließlich den ganz Großen zustünde. Für Jonas war das Spiel genauso hilfreich, weil er sich den Mann auch ein bisschen größer machen musste, als er eigentlich war. Richard Stein war sein Bewährungshelfer für die Zeit nach den Klugen Köpfen. Er war Jonas’ nächstes »Projekt«, so nannte man ja heutzutage die Verwirklichung von Träumen.
Das erste Mal hatte Jonas ihn vor etwa zwanzig Jahren bei einer Lesung in Köln erlebt. Die Routine, mit der Stein seine Texte las, hatte Jonas damals enttäuscht. Er hatte einen fiebernden Baudelaire erwartet, einen einsamen, leidenschaftlichen Bohemien, der an beiden Enden brannte, wie es manchmal so schön blöd über eigentlich bloß hysterische Menschen hieß. Aber Stein war ein Profi, ein Berufsschriftsteller, der lächelnd Hände schüttelte, Bücher signierte, Fotos anschaute, die Leser ihm hinhielten, und der sich fachmännisch erinnerte, obwohl Stein, jedenfalls hatte Jonas den Eindruck, außer sich selbst keinen Menschen auf diesen Fotos erkannt hatte. Jonas hatte sich kurz zuvor Steins RomanGewalt gekauft, eine Erzählung von knapp 150 Seiten, in Großdruck und in schönes Leinen eingebunden. Stein fragte ihn, ob er eine Widmung hineinschreiben sollte. Jonas sagte, der Name reiche völlig. Eigentlich brauchte er nicht einmal den Namen, diese elende Widmerei ging ihm schon immer auf die Nerven, warum, bitte, sollte ein Buch mehr wert sein, wenn der Schriftzug des Autors dort hineingekritzelt war? Jonas wollte möglichst nah ran an Richard Stein. Er wollte ihn von Nahem betrachten, ihm für ein paar Minuten in die Augen sehen, um sich auszumalen, wie viel Leben dieser Mann wirklich in seine Bücher gerettet hatte. Natürlich war ein Blick, war ein Gesicht kein Indiz für irgendetwas, das sich im Buch als Wahrheit beh