Prolog
Die Via Postumia zwischen Cremona und Bedriacum in der italienischen Region Venetien und Istrien,
15. April A. D. 69
Chaos war eine Untertreibung. Die Truppe versuchte völlig planlos, sich aus der Kolonne zu einer Linie zu formieren, und ihr Anblick stand dabei in krassem Gegensatz zu dem der gegnerischen Kohorten, die ihr in geordneter Schachbrettformation gegenüberstanden. Quer über die Via Postumia aufgestellt, mit dem Fluss Po an ihrer rechten Flanke, versperrten sie den Weg nach Cremona. Die zigtausend Mann der Legionen und Auxiliartruppen standen schweigend. Ihre polierten Helme schimmerten in den ersten Sonnenstrahlen, während sie zusahen, wie ihre Gegner sich abmühten, Schlachtordnung einzunehmen. Doch das Chaos rührte nicht daher, dass diese Armee eine Horde disziplinloser Barbaren war, noch mangelte es ihr an Führerschaft. Ganz im Gegenteil, diese Armee hatte zu viele Anführer, und gerade das war ihr Problem: In Abwesenheit des Kaisers Marcus Salvius Otho gab es niemanden, der den Oberbefehl innehatte. Dabei fehlte es diesen Soldaten wahrhaftig nicht an Disziplin, denn sie waren ebenso wie ihre Gegner Römer.
Dies war ein Bürgerkrieg.
Titus Flavius Sabinus beobachtete mit gequälter Miene, wie die Centurionen der fünf Kohorten Prätorianer, die er befehligte, unter Schreien und Schlägen ihre Exerzierplatzsoldaten neu in Stellung zu bringen versuchten. Eben waren die Befehle abermals geändert worden, zum dritten Mal seit der Sichtung des Feindes. Wie hatte es nur so weit kommen können, fragte er sich und ließ den Blick über die Armee vom Rhenus schweifen. Sie war zu einem Zangenangriff südwärts marschiert, um den Mann zu unterstützen, den sie als Kaiser bejubelt hatte: Aulus Vitellius, den Statthalter der Germania Inferior, bekannt dafür, dass er den Genüssen der Tafel frönte. Nicht einmal ein Jahr war vergangen, seit Nero sich das Leben genommen hatte, nachdem er vom Senat zum Staatsfeind erklärt worden war. Wie hatte es nur so weit kommen können, dass es nun zwei Kaiser gab und römisches Blut vergossen wurde?
Caecina Alienus und Fabius Valens, die zwei vitellianischen Generäle, hatten die Truppen Othos, des Kaisers in Rom, überrumpelt, indem sie so früh in der Saison so schnell nach Italien heruntermarschiert waren. Otho hatte daraufhin versucht, eine Einigung auszuhandeln, doch sein Ansinnen war zurückgewiesen worden.
So blieb Otho keine andere Wahl als der Bürgerkrieg, wenn er nicht unverzüglich abdanken und Selbstmord begehen wollte. Und hier in der Poebene würde die Angelegenheit nun entschieden werden.
Sabinus’ gleichnamiger Vater, Sabinus der Ältere, war unter Nero Stadtpräfekt von Rom gewesen. Neros Nachfolger Galba hatte das Amt einem anderen übertragen, doch Otho hatte ihn erneut eingesetzt und zudem Sabinus dem Jüngeren das Konsulat versprochen. Somit stand die Familie in diesem Bürgerkrieg auf Othos Seite.
Aber für wie lange? Nicht lange, schätzte Sabin