1. KAPITEL
Mary McKenzie saß im Stadtpark von Nashville auf einer Bank und wartete darauf, dass Brandon Talbot auftauchte. Er führte seinen Hund hier jeden Sonntagmorgen spazieren. Bisher hatte sie ihn noch nie persönlich getroffen, aber sie wusste schon alles Mögliche über ihn.
Brandon war ein attraktiver, beruflich überaus erfolgreicher Anwalt. Außerdem war er der Mann, den sie verführen sollte. Nicht bis zu dem Punkt, mit ihm ins Bett zu gehen. Gott bewahre, das würde sie niemals tun.
Vielleicht hatte sie ja Glück, und Brandon ließ sich heute gar nicht blicken. Oder in Begleitung einer seiner glamourösen Eroberungen. Dann käme sie ungeschoren davon.
Sie ließ ihren Blick in die Ferne schweifen und entdeckte ihn und seinen sibirischen Husky. Sollte sie diese aberwitzige Mission abbrechen und weglaufen?
Nein, dachte sie. Wenn sie jetzt kniff, würde sie seinem Vater,dem Superstar der Countrymusik schlechthin, durchgehen lassen, dass er ihre Mutter so schmerzlich betrogen hatte. Und auch Brandons eigene Schuld bliebe für immer ungesühnt.
Mary wandte sich wieder dem Buch zu, das sie zu lesen vorgab. Schließlich klappte sie es zu und steckte es in ihre Tasche. Dann erhob sie sich, als wollte sie den Park im nächsten Moment verlassen.
Brandon trug Pullover, Jogginghose und teure Sneakers. Während sie ihm entgegenging, wünschte sie sich, sie würde ihn nicht so attraktiv finden. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, waren amouröse Gefühle für den Feind.
Als sie einander beinahe erreicht hatten, blickte sie auf und schaute ihn an. Er grüßte mit einem Kopfnicken. Hätte sie es nicht besser gewusst, so hätte sie ihn fast für einen guten Menschen halten können. Sein Benehmen war zuvorkommend. Auch sie versuchte, freundlich zu ihm zu sein.
Sie ergriff die Gelegenheit, die sich ihr bot, um ihn anzusprechen. „Ich habe Sie hier schon einmal gesehen und wollte Ihnen bereits damals sagen, wie hinreißend ich Ihren Hund finde.“ Diesen Satz hatte sie wochenlang geübt.
Brandon lächelte, ganz entspannt und absolut hinreißend. Er war schlank und hochgewachsen, hatte schwarzes Haar und strahlend blaue Augen. Marys Puls beschleunigte sich spürbar.
„Danke“, antwortete er. „Sein Name ist Cline.“
Das wusste sie bereits von Brandons Instagram-Seite. „Ich hätte auch gern einen Husky. Aber ich wohne mit meiner Schwester zusammen. Unsere Wohnung ist viel zu klein für so ein Tier.“ Mary hatte sich für die Strategie entschieden, Lüge und Wahrheit zu mixen. Das gemeinsame Apartment entsprach der Realität. „Ist es okay, wenn ich ihn streichle?“
„Sicher.“
Sie kniete sich hin, um das Fell des Hundes zu klopfen, während das Tier geduldig stehen blieb. „Und diese Augen erst! So blau wie der Himmel.“ Wie die Augen seines Herrchens, dachte sie. Doch das konnte sie nicht offen sagen. Sie erhob sich und stand Brandon nun direkt gegenüber. „Cline ist ein ungewöhnlicher Name.“
„Der bezieht sich auf Patsy Cline, meine Lieblingssängerin.“ Wieder zeigte er sein gewinnendes Lächeln. Er hatte makellose weiße Zähne und ein umwerfend markantes Kinn.
Sie zwang sich, ebenfalls zu lächeln. Sie hatte einen Spalt zwischen ihren oberen Schneidezähnen, was manche Leute supertrendy fanden. Aber Mary passte definitiv in kein Modelschema. Mit ihren gerade mal einen Meter sechzig, dem naturroten Haar und einer Haut voller Sommersprossen konnte sie höchstens als einigermaßen hübsch durchgehen. Ihre Schwester sah das allerdings anders. Für sie war Mary das perfekte Mädchen aus der Nachbarschaft, um das sich die geheimen Fantasien der Männer rankten. Aber Alice hatte nun mal ein beeindruckendes Vorstellungsvermögen. Sie war es auch gewesen, die den Verführungsplan ausgeheckt hatte. So etwas wäre Mary allein niemals eingefallen. Sie war keine Femme fatale. Sie wusste nicht einmal, ob es ihr gelingen würde, Brandon