1 Einleitung
1.1 Wozu Theorie?
Wer weiß, was er wann wie zu tun hat, braucht keine Theorie. Oder anders formuliert: Wer den Weg kennt, braucht keine Landkarte.
Es gibt Menschen, die intuitiv – ihrem »Bauchgefühl« folgend – lebenswichtige Entscheidungen treffen und erfolgreich damit sind: in der Familie, im Unternehmen, der eineentweder in der Familieoder im Unternehmen, der anderesowohl in der Familieals auch im Unternehmen … Alle diejenigen, die sich nicht auf die Treffsicherheit ihrer Intuition verlassen können, brauchen eine Theorie, sie benötigen eine Landkarte, um sich orientieren und ihren Weg finden zu können.
Theorien vermitteln eine Außenperspektive auf ein Geschehen (griech.theoréo, »ich schaue zu«, »ich betrachte«, »ich bin Zuschauer«). Sie gewinnen ihre Nützlichkeit dadurch, dass sie dem Akteur, der in das Geschehen verwickelt ist, den Blick auf Möglichkeiten, Chancen und Risiken eröffnen, die ihm andernfalls aufgrund der Beschränktheit seiner Innenperspektive verborgen bleiben würden. Deswegen sind Theorien sehr praktisch.
Beschäftigt man sich mit dem Thema Familienunternehmen – z. B. als Familienmitglied, Gesellschafter, Nachfolger, Fremdmanager (Innenperspektive), Wissenschaftler oder Berater (Außenperspektive) –, so muss man feststellen, dass das Angebot an Theorien, die einem das Leben leichter machen könnten, (zumindest im deutschsprachigen Raum) nur sehr begrenzt ist.
Erklären lässt sich dies durch die Struktur des Wissenschaftssystems: Betriebswirtschaft und die Managementforschung beschäftigen sich mit Unternehmen im Allgemeinen und unterscheiden bestenfalls kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) von großen Konzernen. Die Tatsache, dass ein Unternehmen im Eigentum oder unter der politischen Kontrolle einer Familie steht, scheint für sie und ihre Theorien keinen Unterschied zu machen. Sie gehen von der stillschweigenden Vorannahme aus, dass es eine einheitliche, objektivierbare Rationalität der Unternehmensführung gibt und deswegen die Eigentümerstruktur nicht relevant ist.
Analoges kann über die Familienforschung gesagt werden. Familien scheinen ihre spezifische, von der Psychologie ihrer Mitglieder bestimmte Dynamik zu haben, die unabhängig davon abläuft, ob die Familie ein Unternehmen besitzt oder nicht. Reichtum oder Armut sind zwar Faktoren, die für Sozialwissenschaftler von Interesse sind, aber die