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PARTIE STATT PARTEI:
DER KURZ-ZIRKEL
EINLEITUNG
DIE NACHT, IN DER DAS SYSTEM KURZ ENTSTAND
Wer in der Wiener Innenstadt exquisite oder einigermaßen spektakuläre Lokale sucht und im »Vino« landet, muss irgendwo falsch abgebogen sein. Die Tische der »Weinbar« sind aus dunklem Holz, Sessel und Bänke sind teils mit rotem Kunstleder überzogen, viele haben bereits tiefe Schrammen. Aus den Lautsprechern tönt Radio-Pop von Christina Aguilera bis Ricky Martin und die meisten Lampen sind in jenem irgendwann wieder modern gewordenen Retrostil gehalten, der wohl an die Beleuchtungen von Billardtischen erinnern soll. Es ist nicht gerade hell im Vino, aber die Billardlampen spenden genug Licht, um von einem Barplatz aus die Etiketten der Schnapsflaschen entziffern oder aus einer der herumliegenden Tageszeitungen lesen zu können. Auf den Tischen stehen Teelichter in grünen Ikea-Gläsern, meistens sind sie ausgebrannt. Ins Auge springen mit Ausnahme der Popcornmaschine hinter der Bar allenfalls noch Polster mit dem Logo der Wodkamarke »Martini«. Der Schinkenkäsetoast im Vino kostet 4,20 Euro, das kleine Bier 2,90 Euro, es gibt Prosecco aus der Schank und für besonders gut Aufgelegte auch Champagner der Marke Roederer in Dreiliterflaschen um 370 Euro geradeaus. Wer am Fenster oder im von Arkaden überdachten Gastgarten des Vino sitzt, hat einen guten Blick auf das Wiener Rathaus, den Rathausplatz und den dazugehörigen Park. Im Hintergrund ist das Burgtheater zu erahnen.
Das einzig Besondere am Vino ist, wenn überhaupt, seine Stammkundschaft. Weil das Lokal nämlich exakt zwischen Rathaus und der Bundesparteizentrale der Österreichischen Volkspartei liegt, bevölkern es mit Vorliebe Politiker und ihre Mitarbeiter. Freiheitliche halten sich dort, im Lokal des ihnen nicht gerade feindlich gesinnten Promi-Wirten Heinz Pollischansky, ganz gerne auf, das weiß seit dem Herbst 2019 die halbe Republik: Denn Heinz-Christian Strache hielt im Vino jene Pressekonferenz ab, in der er kurz vor der Nationalratswahl 2019 verkündete, dass er sich jetzt aber wirklich und endgültig aus der Politik zurückziehen würde, um weiteren Schaden von seinen Freiheitlichen abzuwenden.
Vor allem aber ist das Vino ein beliebterÖVP-Treffpunkt. Das Lokal wurde einst von derÖVP ins Leben gerufen, sie ist auch der Hauptmieter des Gebäudes. Es ist nicht lange her, da konnte man aus der alten Parteizentrale der WienerÖVP direkt ins Vino – das damals noch »Wieno« hieß – wechseln, die Schwarzen hatten auch einen Schlüssel für das Lokal. Das Vino war also seit jeher Stammbeisl und verlängertes Wohnzimmer der Österreichischen Volkspartei.
So war das auch schon im Jahr 2011, genauer gesagt, am frühen Abend des 18. April 2011. Allein, die Stimmung war an diesem Abend ziemlich getrübt. Der Grund: Wenige Tage zuvor war der letzte große Hoffnungsträger derÖVP, Josef Pröll, überraschend zurückgetreten. Die Partei stürzte in Umfragen auf einen historischen Tiefstand von 22 Prozent ab – Tendenz fallend. Damit lag sie weit hinter der KanzlerparteiSPÖ und sogar hinter den Freiheitlichen. DerÖVP hingen zu allem Übel auch noch Korruptionsaffären wie jene um Ex-Innenminister Ernst Strasser nach. »Der Tenor in der Bevölkerung war«, erinnert sich der damals zum Parteichef aufgestiegene Michael Spindelegger, »dass dieÖVP eine korrupte Partei ist«. Mehr noch: »Selbst