Kapitel 1
»In diesem Jahr kommt der Winter früh.« Johan Svärd rieb sich die vor Kälte geröteten Hände. »Ich spüre ihn schon in den Knochen.«
»Ja.« Kristin nickte freundlich, verschwieg aber, dass sie sich auf den Winter freute. Auf kuschelige Abende vor dem Kamin, während draußen der Schnee fiel. Auf Schneeballschlachten mit ihren Kindern und den anschließenden Kakao zum Aufwärmen. Sogar ihre Arbeit bereitete ihr im Winter Freude, auch wenn das bedeutete, dass sie das Postfahrrad durch den Schnee schieben musste und ihr oftmals ordentlich kalt wurde auf ihrer Route.
Am Ende stand immer die Rückkehr in die Wärme ihres Zuhauses.
Diese Wärme kannte Johan schon lange nicht mehr. Früher war er zur See gefahren, bis ihm nach einem Arbeitsunfall der rechte Unterschenkel amputiert werden musste. Im Anschluss verlor er seinen Job, danach verließ ihn seine Frau, und jetzt fristete er ein einsames Leben in dem alten Häuschen am Rande des Dorfes.
Es war allgemein bekannt, dass er kaum finanzielle Mittel hatte. Arbeit gab es in dem kleinen Dorf für ihn nicht, und Johan war zu stolz, Almosen anzunehmen. Im Sommer hatte er wenigstens hin und wieder einen Aushilfsjob bei einem der Bauern in der Umgebung. Im Winter aber war er auf das bisschen Rente angewiesen, das er bekam.
Jetzt fiel es Kristin schwer, ihm den Brief zu überreichen. Sie hatte am Absender erkannt, dass es sich um ein Schreiben des Energieversorgers handelte, und wusste, dass er erst vor zwei Wochen eine Mahnung erhalten hatte.
Johan wurde blass. »Die schon wieder«, murmelte er.
»Tut mir leid, Johan«, sagte Kristin bedrückt.
Er winkte ab. »Von mir aus sollen sie den Strom abstellen. Ich habe mich inzwischen an die Kälte gewöhnt.«
»Ich könnte dir …«, begann Kristin, doch Johan fiel ihr grob ins Wort.
»Ich will das nicht, Kristin! Ich komme klar.«
Sie wussten beide, dass das nicht stimmte, aber Kristin verzichtete auf einen weiteren Versuch, ihn umzustimmen. Sie hatte ihm schon einmal angeboten, ihm Geld zu leihen, aber Johan wollte davon nichts wissen.
»Mir kann alles genommen werden«, sagte er mit finsterer Miene, »aber nicht mein Stolz.«
Kristin nickte. Sie wusste nur zu gut, was er meinte.
Johan betrachtete sie abschätzend, ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen. »Stolz muss man sich leisten können, nicht wahr?«
»Glaubst du wirklich, dass ich so denke?«, fragte Kristin betroffen.
Beschämt schüttelte Johan den Kopf. »Tut mir leid, Kristin«, murmelte er. »Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Das weiß ich.« Kristin strich sanft über seinen Arm. »Eigentlich bin ich es, die sich entschuldigen muss. Ich kenne deine Einstellung und hätte einfach den Mund halten sollen.« Sie betr