Kapitel 1
Die Welt ist nicht das, was sie sein sollte. Sondern das, was von unseren Träumen übrig bleibt.
Und dies war die Welt, die ihm die angstschweißtreibende Nostalgie vorgaukelte: die Allgäuer Alpen im gleißenden Licht herbstlichen Sonnenscheins. Ein weites, makellos grünes Tal im Schutz steinerner Kolosse, das sich Wiesen mit Nadel- und Laubbäumen friedlich teilen. Am Himmel kein Wölkchen. Sein Herz so rein wie das Wasser, das fröhlich im Gemstelbach plätschert. Eine einzigartige Filmkulisse. Er, ein Mann in den besten Jahren, hält die Frau an der Hand, die er schon immer geliebt hat. Du Trottel. Ein junger Mann, der vergnügt vor sich hin pfeift und mit beiden Beinen im Leben steht. Er hört seiner Angebeteten zu, wie sie erzählt und lacht, und der Klang ihrer Stimme erfüllt ihn mit einer Seligkeit, die ihm Flügel verleiht. Hörst du auch Geigen? Er weiß, das Schicksal meint es gut mit ihm. Die Liebe und das Leben dauern, bis der Weltgeist beschließt, die Lichter der Ewigkeit auszuknipsen, um die entfesselte Phantasie endlich in ihre Schranken zu weisen.
Und die Wirklichkeit? Eine ganz andere Geschichte. Sie ist nicht alles, was der Fall ist. Oder alles, was kaum der Fall sein kann.
Der Himmel war still. Niemand lachte. Höchstens die Götter, über ihn und seine unerschütterliche Arglosigkeit. Von seinen Träumen war vielleicht doch noch was übrig geblieben. Aber wie viel oder wenig, entzog sich seiner Kenntnis. Das Leben könnte doch so … Nein, eben nicht. Das Leben kann gar nichts. Es lässt Dinge geschehen, so, wie sie kommen. Und gehen. Wir nehmen Abkürzungen, um ans Ziel zu kommen, aber das Leben liegt abseits der Flugrouten freier Gedanken. Wir flitzen an ihm vorbei und wundern uns, dass es nicht da ist, wo es sein sollte, wo wir es in unserer kindlichen Begeisterung anzutreffen glaubten, und dass es nicht so will, wie es wollen könnte. Nur das Denken kennt Abkürzungen. Das Leben nicht. Richards Traum war eine Abkürzung – über Abgründe und Illusionen, zuweilen über das Nichts. Er war ein Mann, der mit beiden Füßen fest auf einer Wolke stand.
Richard betrachtete die Frau, die federleicht wie eine himmlische Erscheinung ein paar Schritte vor ihm her den Schotterw