: Ilja Leonard Pfeijffer
: Grand Hotel Europa Roman
: Piper Verlag
: 9783492997324
: 1
: CHF 10.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: Dutch
: 556
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wer sind wir, wenn wir keine Europäer mehr sind? - Der grandiose europäische Gesellschaftsroman Ein junger Page, Abdul, empfängt den Schriftsteller auf den Marmorstufen des Eingangsportals, über dem in goldenen Lettern der Name 'Grand Hotel Europa' zu lesen ist. Sie rauchen eine erste Zigarette und kommen miteinander ins Gespräch. Der Schriftsteller spricht von Venedig und von Clio, seiner großen Liebe, die ihn verlassen hat. Nun ist er hier, bezieht sein Zimmer in diesem geheimnisvollen Hotel, und während er die eleganten Gäste kennenlernt, fragt er sich, wie er Clio zurückgewinnen kann. - 'Grand Hotel Europa' erzählt von einem alten Kontinent, auf dem vor lauter Geschichte kein Raum für die Zukunft ist und die einzige Perspektive der Tourismus. Es ist ein Roman über unsere europäische Identität und die Nostalgie am Ende einer Ära. 'Grand Hotel Europa ist eine Liebeserklärung an den alten, heißgeliebten, todmüden und doch atemberaubenden Kontinent.' De Limburger »Grand Hotel Europa schreckt vor nichts zurück. Der Roman will beeindrucken - und es gelingt ihm auch! Es ist dieser groß-größer-am-größten Zugriff, der den Roman in ein Meisterwerk verwandelt. Grand Hotel Europa ist ein wunderbares Buch, das sie mit zunehmend fieberhafter Ungeduld lesen werden. Pfeijffer hat den Roman des Jahres geschrieben.« NRC Handelsblad »Grand Hotel Europa ist ein Meisterwerk, brillant und prächtig. Nicht nur ein Roman der Gegenwart, sondern einer, der die Zeiten überdauern wird.« Trouw Monatelang an der Spitze der niederländischen Bestsellerliste

ILJA LEONARD PFEIJFFER, 1968 in den Niederlanden geboren, schreibt Romane, Lyrik, Essays, Theaterstücke und Songtexte. 2014 erhielt er den renommierten Libris Literatuur Prijs für seinen Roman »Das schönste Mädchen von Genua«, der zurzeit verfilmt wird. »Grand Hotel Europa« gelag auf Anhieb der Sprung auf die SPIEGEL-Bestsellerliste und wurde von Kritikern und Lesern gleichermaßen geschätzt. Pfeijffer lebt in Genua und gilt als einer der herausragenden Schriftsteller der Niederlande.

Kapitel Zwei


Platz des Versprechens

1


Jedes Mal, wenn man in Venedig ankommt, ist es, als wäre es das erste Mal. Obwohl ich schon oft in Venedig gewesen war und auf Abendempfängen bisweilen die klangvollen Namen von Tizian und Tintoretto fallen ließ, obwohl ich, während der feuerrote Hochgeschwindigkeitszug, der mich über die Landverbindung von Mestre in die alte Stadt trug, zu bremsen begann, routiniert die Zeitung las, und obwohl ich mir vorgenommen hatte, meine Ankunft in der Stadt unter pragmatischen Gesichtspunkten zu betrachten und mögliche Gemütsregungen aufzuschieben, bis ich mich ganz dort niedergelassen hatte, verschlug es mir, als ich aus dem Bahnhofsgebäude trat und sich das fragile Klischee der Stadt arglos und wie unschuldig vor mir entfaltete, für einen Moment den Atem.

Venedig lächelte mich an wie eine Geliebte, die auf mich gewartet hatte. In den Jahrhunderten, die sie geduldig aus dem Fenster gestarrt hatte, war sie schön und ruhig geworden. Ihre Juwelen klimperten, als sie ihre sanften, warmen Arme für die langersehnte Umarmung öffnete, die Schicksal und Endzweck zugleich war. Sie kicherte leise, da endlich alles so war, wie es die Logik verlangte. Falls sie etwas von einer Ewigkeit flüsterte, so wusste sie genau, wovon sie sprach. Sie hatte ausreichend Kleider für die vielen Feste, die es nun zu feiern gab.

Man kann in keiner schöneren Stadt ankommen als Venedig, wenn eine Geliebte auf einen wartet. Clio war vorausgereist. Wir hatten die Aufgaben verteilt. Ich lieferte unsere alten Wohnungen besenrein ab und erledigte die Formalitäten mit den Vermietern, sie fuhr nach Venedig, um unser neues Zuhause vorzubereiten und die Möbelpacker zu empfangen. Wir besaßen nicht viel. Einzig Clios Bücher stapelten sich in Vielzahl. Ich hatte bereits früher gewitzelt, dass sie einen schweren Beruf habe. Und auch der Witz, dass kunsthistorische Studien immer so ge-wichtig sind, war nicht neu. Dennoch, so verkündete sie mir am Telefon, sei der Umzug gut verlaufen. Sie habe bereits mit dem Auspacken der Kartons begonnen. Sie warte auf mich. Sie liebe mich.

Irgendwo hinter den verführerisch dreinblickenden Häusern im seufzerreichen Prunkgrab dieser Stadt musste es eine Straße namens Calle Nuova Sant’Agnese geben. Ich brauchte nur diese Straße zu finden, um Clio zu finden, in einem Umzugs-T-Shirt und einer Jogginghose, das lange, dunkle Haar zu einem praktischen Knoten geschlungen und auf der Nase vielleicht einen Farbklecks, ganz so wie in einer Immobilienreklame. Junge Pärchen inmitten von Umzugskartons in einem Haus, wo immer die Sonne scheint und das Leben erst noch beginnen muss. Und am Abend wird sie dann ihr Ballkleid anziehen, und wir rauschen Hand in Hand über Plätze, durch Gassen und an schwarzen Kanälen vorbei den neuen Abenteuern entgegen und bescheren der reichen Historie, die der Stadt wie eine Flut bis zum Halse reicht, noch eine glamouröse Geschichte.

2


Ich hatte kein Gepäck. Meine Sachen hatte ich mit der Spedition vorausgeschickt. Ich wollte zu Fuß gehen. Ich freute mich darauf. Während der Zugreise war genug Zeit geblieben, mir mithilfe des Handys die Route vom Bahnhof zur Calle Nuova Sant’Agnese einzuprägen. Es bestand kaum die Möglichkeit, sich zu verlaufen. Unter anderen Umständen hätte ich mich gern auf ein wenig Verirren eingelassen, doch im Moment hielt ich es lieber mit der Zielstrebigkeit. Ich wollte Clio sehen.

Ich stieg die hohen Stufen der Ponte degli Scalzi hinauf, als beträte ich einen Hochaltar. Jede Überquerung des Canal Grande, die, bevor man sich entschloss, die neue Brücke zu bauen, nur an drei Stellen möglich war, fühlte sich heilig an. Ich stützte die Hände auf das marmorne Brückengeländer und blickte hinab auf das Gewimmel im grünblauen Wasserlauf, der eher eine Lebensader bildete als eine Barriere. Der Stadtplaner hatte den Kanal wie ein spiegelverkehrtes S auf den Grundriss der Stadt geschludert und war in sadistisches Gelächter ausgebrochen, als er entdeckte, dass er durch seinen Eingriff die Stadt für die flanierenden Edelleute in ihren Satinslippern nahezu unbegehbar gemacht hatte. Am nächsten Tag jedoch, ausgenüchtert, hatte er erkennen müssen, dass ganz gegen seine Absicht ein herrlicher Wasserweg entstanden war, der sämtliche Stadtteile auf schöne und träge Weise miteinander verband.

Ja, Gondeln. Gondeln sah ich auch gleich. Sie waren größer, schwärzer und realer als auf Abbildungen. Im Grunde war es vollkommen lächerlich, dass diese Dinger i