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Amory
Meiner Meinung nach ist das Konzept des richtigen Moments, des perfekten Zeitpunkts, nichts als eine Illusion. Es gibt das Gestern, das Heute und das Morgen. Irgendwann dazwischen bringen wir die Dinge unter, die untergebracht werden müssen. Meistens sind gestern, heute und morgen ziemlich okay. Ich für meinen Teil mag sie alle drei. Das Gestern vielleicht am wenigsten, weil es schon vorbei ist. Das Heute vielleicht am meisten, weil ich mittendrin bin. Und das Mittendrin liebe ich. Das ist genau mein Ding.
Gerade bin ich mittendrin, Blueberry Pancakes zu backen. Ich stehe in unserer Küche, die ich mit meiner ehemaligen besten Freundin Esmé damals rot gestrichen habe. Wir dachten, das wäre eine gute Idee, um die bräunlichen Flecken an der Wand zu überdecken. Doch die Flecken sieht man bis heute. Denn die Wand hat die Farbe an diesen Stellen nicht so recht annehmen wollen. Aus meiner kleinen Bluetooth-Box singt Skeeter Davis, meine liebste Country-Sängerin und Heldin meiner Jugend,He called me Baby. Den Refrain schmettere ich lautstark mit.
Blueberry Pancakes, das habe ich von meiner Mutter gelernt, sind ein guter Begleiter von schlechten Nachrichten. Bei uns zu Hause gab es Blueberry Pancakes, als meine Kaninchen allesamt von einem Fuchs gefressen wurden, als mein liebster Farmmitarbeiter uns verließ, und seltsamerweise auch, als meine Eltern mir verkündeten, dass meine Mom mit meinem kleinen Bruder schwanger war. Am Tag seiner Geburt – ich war gerade zwölf Jahre alt – machteich Blueberry Pancakes, weil ich mir sicher war, Nicky würde absolut hässlich werden. So hässlich wie all die anderen Babys, die ich bislang gesehen hatte. Ich sah die Enttäuschung meiner Eltern schon vor mir. Wie sie versuchten, dieses knallrote, verknautschte Ding zu lieben. Aber es stellte sich heraus, die Pancakes waren völlig unbegründet, denn Nicky sah überhaupt nicht aus wie die anderen hässlichen Babys. Er war wunderschön. Wenn ich mir heute Fotos vom Tag seiner Geburt ansehe, weiß ich, dass er genauso rot und verknautscht war wie jeder andere auch, der sich gerade mit dem Kopf voraus stundenlang durch einen extrem engen Gang gequetscht hat. Da sieht man mal, was Liebe mit der Wahrnehmung macht.
Heute habe ich schlechte Nachrichten für meinen Mitbewohner Curtis. Wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob es wirklich schlechte Nachrichten sind. Vielleicht sind es einfach nur Nachrichten. Trotzdem will ich mit den Pancakes auf Nummer sicher gehen.
»Morgen«, sagt eine vom Schlaf noch ganz kratzige Stimme in meinem Rücken. »Kannst du das ausmachen?«
Ich drehe mich um. Da steht er, meinen rot getigerten Kater Hilbert auf dem Arm. Er runzelt die Stirn und zeigt auf die Bluetooth-Box. Niemand in meiner näheren Umgebung teilt meine Begeisterung für Skeeter Davis, aber das ist okay. So habe ich sie ganz für mich allein.
Curtis trägt ein schlabbriges weißes T-Shirt über seinen Boxershorts. Seine hellbraunen Haare stehen in alle Richtungen ab. Er sieht ganz und gar bezaubernd aus, finde ich. Morgens ist er immer am schönsten, wenn die Last seiner Gedanken noch keine Zeit hatte, seine Laune zu drücken. Wenn der Tag noch frisch und alles voller Verheißung ist.
Er räuspert sich, und Hilbert macht sich lang, legt seine Pfoten auf Curtis’ Schultern und reibt den Kopf an seinem Kinn.
»Morgen«, erwidere ich und wünsche mir im Stillen, Hilbert möge mit seinen Liebesbekundungen aufhören. Denn es gibt kaum etwas Heißeres als einen Mann mit Katze. In meinen Augen schlägt es sogar einen Mann mit Baby um Längen.
»Was machst du da?«, fragt Curtis und lässt Hilbert auf den Boden plumpsen. Er tritt zu mir an die Anrichte und linst in die Pfanne.
»Blueberry Pancakes.«
»Ist jemand gestorben?« Er runzelt die Stirn.
»Nein«, sage ich lachend, merke aber, dass ich ein bisschen nervös werde. »Kaffee?«
Curtis setzt sich an den Tisch und gießt sich Kaffee aus unserer French Press ein. Ich gebe den letzten Rest Teig in die Pfanne und stelle einen Teller mit Pancakes vor