Kapitel 6
»Sie kommen zu spät!«
Eigentlich hatte Emma sich die Begrüßung ein wenig anders vorgestellt. Mister Morgan war sichtlich erbost und machte keinen Hehl daraus. Sie konnte spüren, wie sie unter seinen strengen Blicken kleiner wurde.
»Wenn ich sage, Sie sollen um acht Uhr hier sein, bedeutet das acht Uhr. Wie spät ist es jetzt, Emma?«
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Es ist sieben Minuten nach acht Uhr, Sir«, antwortete sie kleinlaut.
»Sie nennen mich Sir? Sehr gut, Emma. Das werden Sie beibehalten und mich weiterhin mit Sir anreden. Haben Sie das verstanden?«
Emma nickte ängstlich und zögerlich. »Ja.«
»Ich kann Sie nicht richtig hören!«
»Ja«, wiederholte sie etwas lauter und erschrak dabei über das Zittern in ihrer Stimme. Noch mehr jedoch erschrak sie darüber, dass die Strenge von Mister Morgan sie so geil machte. Schon wieder wurde sie feucht, und eine gewisse Nässe zwischen ihren Beinen schien allmählich der Normalzustand in Gegenwart dieses Mannes zu werden.
Simon Morgan schüttelte mit einem zynischen Lächeln den Kopf.
»Ich kann Sie immer noch nicht so recht verstehen, Emma.«
Er schaute sie an, und seine Blicke bohrten sich regelrecht in ihre Augen und drangen spürbar tief in ihr Allerinnerstes ein. Emma fühlte sich, als würde ihr neuer Chef in ihr lesen wie in einem offenen Buch – und als würde er jedes ihrer kleinen, wohlgehüteten Geheimnisse aus ihr heraussaugen.
Sie begriff. »Ja, Sir!«, antwortete sie und bemühte sich dabei um eine feste, sichere Stimme, was ihr jedoch nicht annähernd gelang.
»Sehr viel besser!« Simon Morgan nickte zufrieden. »Und nun gehen Sie ins Büro und schreiben Sie die Rechnungen. Alle Unterlagen liegen auf Ihrem Schreibtisch.«
»Ja, Sir.« Merkwürdig, wie leicht ihr diese Anrede über die Lippen kam. Emma fühlte sich sogar auf sonderbare Weise wohl dabei. Die Autorität, die Mister Morgan ausstrahlte, gab ihr ein Gefühl von klaren Verhältnissen, von Grenzen und Hierarchien, zugleich fühlte sie sich in seiner Gegenwart sicher und geborgen, obwohl er ihr nach wie vor unheimlich und sogar ein wenig bedrohlich vorkam.
»Gut!« Er blickte aus dem Fenster, während er sprach. »Ich werde mir in der Zwischenzeit überlegen, wie ich Sie für Ihre Verspätung bestrafe.«
Emma schluckte. Er wollte sie bestrafen? Durfte er das als Chef überhaupt? Immerhin gab es Gesetze und klare Regeln, und sie war schließlich kein kleines Schulmädchen mehr. Was um alles in der Welt hatte Mister Morgan vor?
»Ja, Sir«, hörte sie sich selbst sagen und ging mit weichen, wackligen Knien in das Büro.
Okay, kein Problem, dachte sich Emma. Sie konnte Rechnungen schreiben. Mister Morgans Notizen waren klar und unmissverständlich, und so fiel die Arbeit eigentlich leicht. Erstaunt war sie nur, wieviel Umsatz dieses Geschäft machte. Abgesehen davon, dass die einzelnen Stücke zu horrenden Preisen die Besitzer wechselten, herrschte allem Anschein nach eine enorme Nachfrage nach Antiquitäten. Offenbar hatte Mister Morgan den richtigen Riecher, was den Geschmack seiner erlesenen Kundschaft anging.
Trotz der leichten Arbeit war Emma nervös und so voll innerer Unruhe