Kapitel 1
Die Rundschau brachte es auf Seite 28 unter der Rubrik »Aus aller Welt« in einem knappen, einspaltigen Artikel mit acht nüchternen Zeilen. Mehr war dem Chefredakteur der Zeitung diese Nachricht nicht wert – in einer Welt, in der nur noch Geld und Korruption und Missgunst zählten. Ein amerikanischer Multimilliardär hatte auf einer Jagdexpedition den letzten noch lebenden Bali-Tiger erlegt und brüstete sich damit, eine Tiergattung ausgelöscht zu haben. Er wolle den Kopf des Tigers ausstopfen und als Trophäe in seinem Wochenendhaus in Lake Placid aufhängen lassen, hieß es lapidar.
Jochen Merker stieß es gallig auf. »Schon wieder!«, stöhnte er und schlug mit der Faust auf die Armlehne. »Schon wieder haben sie eine Art ausgerottet, diese Dreckschweine! Sie brüsten sich damit. Sie rotten die Moschustiere aus, nur wegen diesem idiotischen Parfüm. Sie knallen die Nashörner ab, nur weil diese verdammten Schlitzaugen keinen hochkriegen. Sie schlachten die Leoparden und Ozelote ab, damit irgendeine blöde Fotze sich einen Pelzmantel umhängen kann. Sie erschlagen die Robbenbabys, kaum dass sie geboren sind. Es ist zum Kotzen! Am liebsten würde ich diese ganze Welt in die Luft sprengen!«
»Wir können nichts daran ändern«, sagte Martina, seine außerordentlich schöne und dickbusige Frau, die neben ihm auf dem Sofa saß.
»Ich weiß, ich weiß!«, sagte Jochen verzweifelt. »Unsere Söhne werden aufwachsen und Wale und Elefanten und selbst Hasen und Fasane nur noch in Büchern bewundern können. Mir kocht die Seele, wenn ich daran denke, wie sie unsere Welt zerstören. Sieh, wie sie unsere Wälder zugrunde richten, Martina. Sie haben einen Zweilitermotor entwickelt, und die Ölindustrie kauft die Pläne auf, damit er nicht in Serie produziert werden kann. Am liebsten würde ich alles hinschmeißen und auswandern – auf eine einsame Insel im Südpazifik mit einem endlos langen, weißen Strand und Palmen und einem blauen Meer, in dem es keine Ölteppiche und keine erstickenden Fische gibt. Stell dir das vor, Maus: keine rauchenden Fabrikschlote, keine stinkenden Benzinkutschen, kein Säureregen, keine vergifteten Flüsse …«
»Das ist keine schlechte Idee«, meinte Martina.
Jochen und Martina schlugen sich schon eine ganze Zeit mit dem Gedanken herum, aus ihrem jetzigen Leben auszusteigen. Diese Zivilisation widerte sie an. Sie hassten es beide, morgens die Zeitung aufzuschlagen und nur von Parteispendenskandalen lesen zu müssen, von korrupten Politikern und Managern, bestochenen Polizisten, vom Ozonloch und vom Treibhauseffekt, von missbrauchten und hinterher ermordeten zehnjährigen Mädchen, von Kinderpornographie und Menschenhandel, von Krieg und Diktatur und Terror und Rassenhass. Jochen und Martina träumten davon, Menschen zu begegnen, die zur Begrüßung ihre Nasen aneinanderrieben. Sie wollten atmen, ohne sich dabei unweigerlich an Kohlendioxyd vergiften zu müssen. Und sie teilten noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie litten beide an einem unstillbaren Fernweh. Sie träumten davon, die ganze Welt kennenzulernen – Tahiti, Hawaii, Java, Bali, Sumatra, Jamaika, Barbados und so weiter und so weiter. Wo gab es das noch, das letzte Paradies?
Eine Zeitlang spielten sie ernsthaft mit dem Gedanken, sich einem Eingeborenenstamm auf Papua-Neuguinea anzuschließen, dann stand es schon so gut wie fest, dass sie in di