2. Sitzung (Mrs. Jamison)
Meine Heimatstadt Greenvillage (sie heißt eigentlich anders) ist ein kleines Provinznest, wie es in den USA unzählige gibt. Sie alle sind ungefähr gleich groß, die Häuser sind ebenso klein wie in den anderen Städten dieser Größenordnung, die Menschen und die Sitten sind auf den ersten Blick gleichermaßen einfach und altmodisch, das kulturelle Niveau gleich niedrig, und es gibt ebenso wenig die Möglichkeit eines gehobenen kulturellen Lebensstils wie anderswo. Aber die Menschen sind immer auch hilfsbereiter als in den großen Städten. Man kennt sich, man spricht miteinander und man ist mitfühlender. Also, würde man in irgendein anderes dieser Städtchen umziehen, würde man sich gleich genauso heimisch fühlen, denn die Lebensverhältnisse sind dieselben.
Aber in einem unterschied sich unsere Stadt von allen anderen Provinznestern der USA: Sie war fast menschenleer. Nein, die Einwohnerzahl stimmte ungefähr mit den anderen überein, nur die Menschen waren nicht da. Genauer gesagt, ein Drittel der Menschen fehlte, war sehr selten zu Hause, und entsprechend war das Straßenbild.
Der Grund dafür war einfach: Es gab keine Arbeitsplätze in Greenvillage. Es gab weit und breit keine Industrie, aber auch keine Landwirtschaft. Arbeitsfähige Männer suchten und fanden Arbeit in den großen Städten, so dass ein Drittel der Männer im besten Mannesalter sich ständig weit weg von zu Hause aufhalten musste, um das Geld für den Unterhalt der Familie zu verdienen. Manche kamen jedes Wochenende nach Hause (wegen der langen Anreise konnten sie aber meist nur einen Tag bleiben), die Mehrheit aber konnte nur einmal im Monat – manche sogar nur in jedem Vierteljahr – drei Tage daheim verbringen. Lediglich zu Ostern und zu Weihnachten waren alle registrierten Einwohner in Greenvillage vollständig anwesend.
Warum sie nicht dahin gezogen sind, wo sie Arbeit gefunden hatten, fragen Sie mich? Nun, jeder, der es irgendwie machen konnte, war bereits weggezogen. Und die übrigen? Das Häuschen band sie an ihre Heimatstadt. Das alte Häuschen, das noch ihre Eltern oder Großeltern gebaut hatten, in dem sie geboren wurden und das ihr einziges Vermögen war. In der Ferne hätten sie Miete zahlen müssen, hier wohnten sie und ihre Familien umsonst in den eigenen vier Wänden. Und wer hätte ihr Häuschen auch kaufen sollen, selbst wenn sie hätten weggehen wollen? Es standen schon mehr als genug Häuser leer herum. So fehlte ein Drittel der Einwohner fast ständig, und zwar die Männer, die Ehemänner und Väter, diejenigen, die noch eine Ehe führen konnten, mit allen Vorteilen und Genüssen, die eine Ehe bieten kann.
Natürlich gab es noch Männer in der Stadt: Es waren durchwegs Rentner, um nicht zu sagen Tattergreise. Denn die wenigen Arbeitsplätze in den Ämtern, in der einzigen Bank und in den paar Geschäften wurden von den Frauen besetzt. Meine Mutter war ja auch bei der Stadtverwaltung beschäftigt.
Und heute weiß ich, dass die Frauen unserer Stadt aus ebendiesen Gründen sogenanntegrüne Witwen waren, und das fast auf Lebenszeit, denn darauf, dass ihre Männer noch vor dem Rentenalter eine Arbeitsstelle in Greenvillage bekommen würden, bestand überhaupt keine Hoffnung.
Diese Frauen waren zutiefst unglücklich, denn alle waren sie noch ziemlich jung und im gebärfähigen Alter, wo sie einen Partner brauchten. Und das nicht nur zum Vorzeigen, sondern auch nachts in ihrem Bett, wenn sie sich ruhelos hin und her wälzt