: Marlies Ferber
: Wohin die Reise geht Roman
: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
: 9783423437608
: 1
: CHF 8.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zum Leben ist es nie zu früh. Und selten zu spät. Der ehemalige Kaffeefabrikant Jakob macht sich mit 72 Jahren auf den Weg, um für seinen Sohn eine Million Euro Schwarzgeld in die Schweiz zu schmuggeln. Mit dabei: sein ahnungsloser Freund Matthias, Kriminalbeamter und stolzer Wohnwagen-Besitzer, sowie der ausgemusterte Polizeihund Eddie. Unverhofft treffen sie unterwegs auf die betagte Opernsängerin Tilda, die etwas orientierungslos wirkt. Und auf die junge Straßenmusikantin Alex, die ein gefährliches Geheimnis hütet. Es beginnt eine abenteuerliche Reise, die das bunte Quartett unfreiwillig zusammenschweißt.

Marlies Ferber, geboren 1966, studierte Sinologie in Deutschland, China und den Niederlanden und arbeitete als Verlagslektorin, bevor sie sich ganz dem Schreiben und Übersetzen widmete. Sie ist freie Dozentin für kreatives Schreiben der Bundesakademie Wolfenbüttel und lebt mit ihrer Familie in Hagen.

2


drei Tage zuvor

Beethovens Siebte zum Frühstück war eine Freude. Jakob griff zur Fernbedienung seines neuen Radios und drückte einige Male auf den Lautstärkeregler, bis die beschwingten Klänge die Küche ausfüllten. Er hatte einige Wochen umsichtig haushalten müssen, bevor er sich das Radio leisten konnte. Aber es hatte sich gelohnt. Es besaß eine vernünftige Antenne, die rauschfreien Empfang garantierte, und der Klang war exzellent. Dieses Radio war ein Juwel. Lieber ein paar Wochen auf teuren Aufschnitt und den Wein zum Abendessen verzichten als auf guten Klang. Jakob ging zum Herd, nahm den Milchtopf herunter und goss die heiße Milch vorsichtig über den Zwieback, der schon im Suppenteller bereitlag. Zum Schluss streute er einen Löffel Zucker darüber, stellte den Teller auf den Küchentisch und nahm Platz. Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah, dachte er, während er genüsslich seine warme Zwiebackmilch löffelte. Ja, Beethoven hören und Zwieback mit Milch und Zucker dazu genießen. Ein wohliger Morgen. Und am Abend würde er sich mit Matthias im Ratskeller treffen, wie jeden Dienstag nach der Chorprobe.

Er hatte gerade abgeräumt, da klingelte das Telefon. Es war Lukas. »Ich wollte nur fragen, ob du da bist, dann komme ich auf einen Sprung vorbei.« – »Natürlich bin ich da«, sagte Jakob. »Gut, Papa, bis gleich!« – »Schön, ich freue mich!«, sagte Jakob noch, aber da hatte Lukas schon aufgelegt.Papa, dachte Jakob verwundert, als er das Telefon an seinen Platz zurücklegte. Er versuchte sich zu erinnern, wann Lukas das letzte Mal Papa zu ihm gesagt hatte. Irgendwann, als an seiner Oberlippe der erste Flaum wuchs, hatte er im Scherz angefangen, Veronika und ihn mit »Vater« und »Mutter« anzureden, und dann war es irgendwie dabei geblieben.

Jakob sah sich um. Die Küche konnte so bleiben, außerdem würde er Lukas ohnehin ins Gute Zimmer führen. Er ging ins Wohnzimmer, seufzte und beschloss, dass es Zeit war für Trick siebzehn. So hatte Veronika das genannt, wenn plötzlich Besuch kam und keine Zeit blieb aufzuräumen. Er ging in die Abstellkammer, zog den Staubsauger hervor und stellte ihn mitten ins Wohnzimmer. Lukas sollte nicht denken, er käme nicht zurecht. Ich wollte gerade sauber machen, würde er sagen. Und dass die Putzfrau krank sei. Dann würde Jakob sich über den Zustand der Wohnung keine Gedanken mehr machen. Er war aber auch so ein Pingel. Schon mit vier Jahren hatte ihr kleiner Lukas seine Pantoffeln abends immer ordentlich vor das Bett gestellt.

Als Nächstes ging Jakob zur Bar und räumte die Flasche Jenever nach vorn. Gut, es war noch früh am Morgen, aber traditionell würde er seinem Sohn einen Drink anbieten, und in dem unwahrscheinlichen Fall, dass er tatsächlich einen nahm, würde er zu dieser Flasche greifen. Die anderen waren nur noch Dekoration, mehr oder weniger stark mit Wasser aufgefüllt, aber das brauchte Lukas nicht zu wissen. Zuletzt g