1.
Wenn sich etwas sagen ließ über Gretchen Wilde, dann, dass sie die besten Skoleboller backte, die Cornwall je gesehen hatte. Was kaum jemanden verwundern sollte, denn zumindest auf Port Magdalen gab es außer ihr niemanden, der aus Norwegen stammte und eine solche Spezialität zu zaubern in der Lage war. Niemanden, außer Gretchen eben. Was die Bewunderer dieser norwegischen Backkunst aus Eiern, Milch, Zucker und einer herrlichen Vanillecreme allerdings nicht ahnen konnten, war die Tatsache, dass die junge Frau immer nur dann nachts in die Hotelküche schlich, wenn sie wirklich miese Laune hatte. Wenn ihr etwas die Nachtruhe verhagelte. Wenn Gäste sie verärgert hatten. Wenn Opa Theo wieder einmal eine seiner zutiefst denkwürdigen Erfindungen an ihr oder einem anderen unschuldigen Menschen erprobt hatte. Wenn die Tage anstrengender waren als sonst und Gretchen aufgewühlter, wenn an Schlaf nicht zu denken war, dann schlich die Inhaberin desWild at Heart, Port Magdalen, Cornwall, in die Küche ihres Hotels und malträtierte Teig, bis ihr die Arme schwer wurden.
Und Hefeteig, den musste man walken. Kneten musste man den und durchmassieren, und Gretchen überließ diese Aufgabe niemals der Küchenmaschine, sondern krempelte stattdessen selbst die Ärmel hoch. Die Ärmel ihres dunkelgrünen Pyjamas wohlgemerkt. Den mit den weinroten Beeren darauf. Einen denkwürdigen Anblick gab Gretchen da ab, in ihren Plüschpantoffeln, dem wirren blonden Dutt und ebendiesem vorweihnachtlichen Schlafanzug.
»Mum?«
Gretchen war so tief darin versunken, ihren Teig zu bezwingen, dass sie beim Klang von Netties Stimme zusammenzuckte und beinahe das Blech von der Arbeitsfläche gefegt hätte. »Himmel, Nettie«, schalt sie ihre Tochter. »Musst du dich so anschleichen?«
»Du hättest mich gehört, wärst du nicht so sehr darin vertieft, diesen armen Teig umzubringen.« Nettie gähnte. Dann hievte sie ihr Gesäß auf die Arbeitsfläche, unmittelbar neben Gretchens Backschüssel. »Es ist drei Uhr morgens«, stellte sie fest. »Und erst Mitte November. Ist es für Weihnachtsplätzchen nicht noch etwas früh?«
»Das sind Skoleboller, keine Weihnachtsplätzchen.« Ihre Mutter zog das Gefäß ein Stück von Nettie weg, bevor sie sich wieder dem Kneten widmete. »Und wenn es so früh ist, warum liegst du dann nicht im Bett? Zumal morgen Schule ist?«
Als ihre Tochter nicht gleich antwortete, warf Gretchen ihr einen abschätzenden Blick zu. Das tat sie in jüngster Zeit oft. Also, ihre Tochter abschätzen. Sie wusste, die vergangenen Monate waren für Nettie hart gewesen. Seit Damien und seine Väter nach dem großen Brand im August abgereist waren, hatte sie nichts mehr von ihrem einst besten Freund gehört – zumindest nicht, soweit Gretchen informiert war. Damien war fort, und Nettie hatte keinen Versuch unternommen, sich mit ihm auszusöhnen. Stattdessen war sie dünner geworden. Und nachdenklicher. Verschwiegen. Ein bisschen roboterhaft, was sie selbstverständlich niemals zugeben würde. Fragte man Nettie, wie es ihr gerade ging, lautete die Antwort »Bestens« oder »Fabelhaft« oder »Wahrhaft grandios«, und der grüblerische Ausdruck wich einem so unnatürlichen Grinsen, dass Gretchen jedes Mal eine Gänsehaut bekam. Sie hatte Nettie nie für eine Zynikerin gehalten. Doch die vergangenen Wochen hatten gezeigt, dass sie längst nicht mehr alles über ihre Tochter wusste.
»Was?«, fragte Nettie jetzt.
Gretchen schüttelte den Kopf, sie hatte sie schon viel zu lange angestarrt. »Gar nichts«, erwiderte sie. »Ich war in Gedanken.«
»Ja, das sehe ich.« Nettie warf einen bedeutungsvollen Blick in Richtung Teigschüssel. »Also, was